11. Kinder- und Jugendbericht des Landes Nordrhein-Westfalen: Stellungnahme zum Fachforum Offene Kinder- und Jugendarbeit vom 16.11.2020

Offene Kinder- und Jugendarbeit als Ort für Partizipation und gelebte Demokratie
Kinder- und Jugendarbeit ist von ihrer Geschichte der Jugendbewegung her ohne Beteiligung nicht denkbar. Kinder und Jugendliche sind nicht nur Adressat*innen Offener Kinder- und Jugendarbeit (OKJA), sondern gestalten und verantworten dieses Arbeitsfeld entscheidend mit. OKJA ist offen für alle Anliegen von Kindern und Jugendlichen. Dies ergibt sich zwingend aus ihrer Struktur, zu deren zentralen Pfeilern Offenheit und Freiwilligkeit der Teilnahme gehören.
OKJA bietet formelle Beteiligungsformen wie Delegation, Sprecherräte, Vollversammlungen mit Abstimmungen sowie informelle Formen, etwa Gesprächsangebote, situatives Engagement, Initiierung von Aktivitäten und Anregungen, das Aufgreifen von Ideen und die konkrete Unterstützung von Aktivitäten der Kinder und Jugendlichen durch die Fachkräfte. OKJA geht aktiv auf Kinder und Jugendliche zu, fordert zu Engagement und Partizipation auf und eröffnet ihnen Möglichkeiten, Verantwortung und Leitung zu übernehmen, Meinungen und Auffassungen zu artikulieren und zu diskutieren, Einfluss zu nehmen und gemeinschaftliche Entscheidungen zu treffen. Die Einübung demokratischen Handelns – als Mitgestaltung, Mitbestimmung und Mitverantwortung – ist erklärtes Ziel und gleichzeitig Praxis Offener Arbeit.

Fachliche Begleitung durch die Landesebene sinnvoll
Träger und Fachkräfte reflektieren fortwährend, wie und inwieweit sie junge Menschen in die Abläufe und Entscheidungen aktiv einbinden. Sie tragen Verantwortung dafür, dass demokratische Prozesse, Teilhabe und die Selbstorganisation junger Menschen möglich sind und erprobt werden können. Dies erfordert eine offene Haltung, Beobachten und Verstehen seitens der Fachkräfte sowie ausreichend Zeit für den Aufbau intensiver und längerfristiger Beziehungen.
In der Praxis der OKJA zeigt sich, dass die Fachkräfte aufgrund von vielfältigen Anforderungen im Arbeitsalltag stark ausgelastet sind. Oftmals fehlt die Zeit sich mit partizipativen Prozessen intensiver zu beschäftigen. Die aktuelle Corona-Situation verstärkt diese Thematik. Der Umgang mit dem Virus nimmt die Fachkräfte sehr ein; Themen wie Partizipation rücken in den Hintergrund. Darüber hinaus erfordert die Umsetzung von Beteiligung – neben den theoretischen Grundkenntnissen – vor allem praktische Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Fachkräfte stehen regelmäßig vor der Herausforderung, aus der Fülle von Methoden eine situativ angemessene auszuwählen – und diese zu erproben und laufend anzupassen. Daher ist es sinnvoll, für diesen zentralen Bereich der OKJA von Seiten der Landeseben eine Unterstützung anzubieten.

Aufgrund dieser Tatsache hat die AGOT-NRW das Partizipationsprojekt „Wir machen das – grenzenlos“ entwickelt. Wir bieten den Fachkräften der OKJA über einen festen Zeitraum eine konstante fachliche Beratung und Begleitung an. Ziel des Projekts ist es, dass durch die Reflexion und das Erproben von verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten eine individuelle nachhaltige Partizipationsstruktur etabliert wird.
Wir erhalten von den Fachkräften die Rückmeldung, dass durch diese Zusammenarbeit das Thema Partizipation wieder stärker in den Fokus genommen wird und die Fachkräfte dankbar für den gemeinsamen Austausch, die landesweite Vernetzung mit anderen Einrichtungen und den externen Input sind. Die Fachkräfte der OKJA erleben durch die Zusammenarbeit mit der AGOT-NRW als landeszentrale Organisation eine kontinuierliche externe Unterstützung und Bestärkung der eigenen Beteiligungsprozesse.

Die Erfahrungen in unserem Projekt „Wir machen das – grenzenlos“ zeigen, dass die Fachkräfte der OKJA eine Unterstützung auf Landesebene als bereichernd ansehen. Neben der Weitergabe von Wissen und Methoden steht ein Netzwerk zur Verfügung, in dem sich die Fachkräfte austauschen können. Das Projekt unterstreicht unsere Position, dass die fachliche landesweite Begleitung sinnvoll ist und dadurch wertvolle Synergien entstehen können.

Digitale Formate als notwendige Ergänzung
Durch die aktuell vorherrschende Coronakrise haben die digitalen Formate an Bedeutung gewonnen. Im Frühjahr 2020 wurde in kurzer Zeit sichtbar, wie kreativ und zeitnah die Fachkräfte der OKJA digitale Angebote umgesetzt und weiterentwickelt haben. Ein Vorteil von digitalen Formaten liegt darin, dass diese in Zeiten von Kontakteinschränkungen als sinnvolle Ergänzung dienen können. Durch digitale Aktivitäten besteht die Möglichkeit, mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. Es hat sich jedoch auch gezeigt, dass im digitalen Raum nicht alle erreicht werden können. Der analoge Kontakt ist und bleibt das Kernelement der OKJA.
Im Bereich der Beteiligung gibt es bereits viele digitale Tools, die mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt werden können. Somit bietet die digitale Welt eine Chance, bspw. an geplanten Beteiligungsvorhaben anzuknüpfen. Jedoch stoßen auch hier die digitalen Möglichkeiten an ihre Grenzen. In der digitalen Beteiligung steigt die Hemmschwelle der Kinder und Jugendlichen sich mitzuteilen. Soziale Beziehungen zwischen Fachkräften und jungen Menschen können im digitalen Raum – mit eingeschränkter Gestik und Mimik – nur begrenzt gestaltet werden. Analoge Erlebnisse bilden nach wie vor die Basis für den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen und Persönlichkeitsentwicklung.
Ein erklärtes Ziel der OKJA ist außerdem, Mitbestimmung für alle zu ermöglichen. Durch die ungleichen Zugänge zu digitalen Medien wird dieses Ziel jedoch nur eingeschränkt erfüllt und es entsteht ein gesellschaftliches Gefälle zwischen digital gut und weniger gut aufgestellten Kindern und Jugendlichen. Viele junge Menschen besitzen u.a. kein Endgerät.

Die AGOT-NRW sieht die digitalen Formate als sinnvolle und notwendige Ergänzung zur analogen Arbeit an. Jedoch wird deutlich, dass die digitalen Räume und Möglichkeiten die analoge Arbeit nicht ersetzen können. Eine gelingende Ermutigung, Befähigung und Einübung demokratischen Handelns der Kinder und Jugendlichen benötigt einen geschützten und vertrauten analogen Rahmen innerhalb der OKJA.

Verbindliche Rahmenbedingungen im öffentlichen Raum auf kommunaler Ebene schaffen, um eigenständige Beteiligungsformen zu ermöglichen
Die AGOT-NRW setzt sich dafür ein, zu prüfen, welche Formen der Beteiligung für Jugendliche angemessen sind und fordert die Politik auf, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eigenständige Beteiligungsformen für Jugendliche auf breiter Ebene ermöglichen.
Einen sinnvollen und besonders wirksamen Weg, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im öffentlichen Raum auf kommunaler Ebene verbindlich zu regeln, stellen die Gemeindeordnungen bzw. Landkreisordnungen der Bundesländer dar. In ihnen wird die Arbeit und Struktur der Kommunen geregelt. Dabei ist zwischen Ist- bzw. Muss-, Soll- und Kann-Regelungen zu unterscheiden, die entweder in den Gemeindeordnungen oder in einigen Fällen in Gesetzen zur Kinder- und Jugendhilfe festgelegt sind. Dabei bleiben die Kann-Regelungen in der Gemeindeordnung NRW (GO NRW) weit hinter vergleichbaren Regelungen vieler anderer Bundesländer zurück.
Eine generelle Regelung in der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (GO NRW) schließt die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen nicht explizit mit ein. In § 27a wird seit 2016 unter dem Punkt Interessenvertretung, Beauftragte festgeschrieben:

„Die Gemeinde kann zur Wahrnehmung der spezifischen Interessen von Senioren, von Jugendlichen, von Menschen mit Behinderung oder anderen gesellschaftlichen Gruppen besondere Vertretungen bilden oder Beauftragte bestellen. Das Nähere kann durch Satzung geregelt werden.“

Diese schwächste Regelungsform (Kann-Regelung gegenüber Soll oder Muss) in NRW führt dazu, dass in der kommunalen Praxis Kinder und Jugendliche zwar z.B. an Spielplatzplanungen beteiligt werden, aber an anderen sie betreffenden Fragen, die nicht ausschließlich Kinder und Jugendliche betreffen, aber dennoch von hoher Bedeutung sind (vgl. 3. AG-KJHG – KJFöG NRW), sie i.d.R. nicht beteiligt werden. Durch die Kann-Regelung muss dies von den Kommunen nicht

einmal mehr begründet werden, d.h. eine stärkere Beteiligung hängt maßgeblich vom Willen einzelner Akteur*innen vor Ort ab.
Zielführend für die Absicherung der Beteiligungsrechte von Kinder und Jugendlichen ist eine Änderung der Gemeindeordnung, etwa in §27a, hinsichtlich verbindlicher Beteiligung von Kindern- und Jugendlichen (Muss-Regelung) und eine ergänzende Regelung, die die Kommune/ Gemeinde verpflichtet darzulegen, wie sie die Beteiligung sicherstellt, umzusetzen gedenkt und umgesetzt hat.
Die AGOT-NRW fordert eine Änderung der Gemeindeordnung NRWs, um eine verbindliche rechtliche Grundlage zu schaffen, die eigenständige Beteiligungsformen stärkt. Es wird empfohlen, aus der aktuellen Kann-Regelung (§27a, GO NRW) eine Muss-Regelung zu formulieren, damit die Verbindlichkeit von Beteiligung fester verankert wird.

Quellen:

https://wirmachendas-agotnrw.de/

Ort gelebter Demokratie!

https://www.dkhw.de/fileadmin/Redaktion/1_Unsere_Arbeit/1_Schwerpunkte/3_Beteiligung/3.11_Studie_Beteiligungsrechte/Studie_Beteiligungsrechte_von_Kindern_und_Jugendlichen.pdf

https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=1&bes_id=6784&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=466613

https://www.mkffi.nrw/sites/default/files/asset/document/kinder-_und_jugendfoerderungsgesetz.pdf

Stellungnahme AGOT 11. Kinder- und Jugendbericht OKJA Partizipation (PDF)