Erreichbarkeit von Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund in Zeiten von Corona

Als die Schließung der Einrichtungen der Offenen Kinder und Jugendarbeit in NRW am 15.
März 2020 bekanntgegeben wird, ist vielen noch nicht klar welche Auswirkungen dies auf
die OKJA langfristig haben wird. Mittelpunkt der offenen Kinder- und Jugendarbeit ist
insbesondere die Begegnung, der gemeinsame Austausch, die Interaktion, eben der soziale
Kontakt zu- und miteinander. Durch die plötzlichen Schließungen fehlen Kontakte zu
wichtigen Bezugspersonen, die offene Tür vieler Kinder und Jugendliche.

Im Rahmen von „Vielfalt – Wir leben sie 2020!“ reagieren die Fachkräfte der Projekte
jedoch initiativ. Es werden fortlaufend verschiedene mediale Plattformen bedient, um
dadurch den Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen aufrecht zu erhalten: Instagram,
Zoom, Discord, Twitch, Facebook und Youtube, um nur einige digitale Räume zu nennen.
Das Angebot auf den Kanälen für Kinder und Jugendliche reicht von beispielsweise
kreativen Do-it-Yourself Videos, Backtutorials und gemeinsamen Sportsessions bei
Youtube zu Kochworkshops, Videos der Aufmunterung und Sorgentelefonen,
Lernunterstützung/Hausaufgabenhilfe, Musikszessions, Workshops auf Webinarbasis. Doch
inwieweit erreichen diese medialen Bespielungen die Kinder und Jugendliche, die sonst
regelmäßig an den Projekten der Einrichtungen teilnehmen? Und inwieweit ist der
gemeinsame Austausch, die Interaktion tatsächlich weiterhin gewährleistet?
Im Rahmen des Vielfalt- Projektes wird schnell erkenntlich, welche Herausforderungen die
neue Situation insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund birgt. Diese
zeigen sich bereits bei der Frage nach der Informationsvermittlung über die aktuelle
Situation und die Regelungen die bezogen auf das Coronavirus getroffen werden. Oft ist
auch unklar, wo eben jene Informationen überhaupt zu finden sind.

Viele Fachkräfte berichten über das Unverständnis der Kinder und Jugendlichen über die
aktuelle Situation, denn es gibt zu wenig Aufklärung darüber, warum sie nicht mit den
Freund*innen draußen in Gruppen, auf Spielplätzen oder in den so wichtigen Projekten
zusammen sein dürfen. Informationen stehen in zu wenigen Sprachen zur Verfügung und
auch für die Eltern ist die Übersetzung oft problematisch.
Diese Problematik verdeutlicht sich auch bei den Hausaufgaben, die den Kindern und
Jugendlichen bis jetzt digital zugeschickt wurden. Fragen zu Aufgabenstellungen können
auf Grund von sprachlicher Unsicherheit und Leseproblem oft nicht von den Eltern
beantwortet werden und digitale Hausaufgabenhilfen über die oben genannten Plattformen
helfen beim Verständnis nur bedingt. Nicht alle Kinder und Jugendliche haben die
Möglichkeit des regelmäßigen Internetzugangs und oft stehen nicht genug Handys oder
Computer in einer Familie zur Verfügung. Es fehlt der Raum sich zurück zu ziehen und
Familien, die schon vorher vermehrt in Konfliktsituationen waren, sind nun dauerhaft auf
oft engstem Raum zusammen. Es fehlt der direkte Kontakt zu den Vertrauenspersonen
außerhalb der Familie. Und auch für die Fachkräfte bestehen nur wenig Möglichkeiten
einen Einblick in die innerfamiliäre Situation zu bekommen.

„Die Krise trifft uns alle, aber sie trifft uns nicht alle gleich“ sagte Frank Walter Steinmeier
in einer überraschenden Videobotschaft am 22. April 2020. Es wird deutlich, dass jetzt und
vielleicht gerade jetzt die Integration, die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen mit
Fluchthintergrund von besonderer Bedeutung ist und nicht in den Hintergrund gerückt
werden darf. Vielfalt bedeutet neue Räume, neues Engagement und neue Initiativen für ein
unterstützendes Miteinander auf den Weg zu bringen.
Neben der Relevanz der vielen digitalen Angebote sind in diesem Zusammenhang
besonders analoge Konzepte für die Erreichbarkeit von insbesondere Kindern und
Jugendlichen mit Fluchthintergrund mehr als notwendig, um das Gefühl des Nicht-alleine-seins
zu bestärken.
Bücherausleihe (auch Schulbücher), das Drucken von Lern- und Erklärungshilfen,
Spieleausgabe und Näh- und Bastelkisten oder eben einfach die offene Tür, die nun gerade
als offenes Fenster für den direkten Austausch, das Besprechen von Sorgen und Ängsten
fungiert – im Rahmen von „Vielfalt – Wir leben sie!“ gilt es solidarisch und
verantwortungsvoll mit eben jenen Herausforderungen umzugehen und erreichbar für
Kinder und Jugendliche mit und ohne Fluchthintergrund zu sein.

AGOT-NRW e.V., Mai 2020