Für eine demokratische, offene und vielfältige Gesellschaft. Was jetzt zu tun ist – Forderungen der AGOT-NRW

Einleitung

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) eröffnet über spezifische Zugänge, Freiräume
und Lernfelder, die den Erwerb von Alltags- und Demokratiebildung in besonderer Weise
begünstigen. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer
ausgewogenen sozialen Infrastruktur in den Städten und Landkreisen. Zugleich hat sie einen
großen Anteil zur Vermeidung von Ausgrenzung und der Förderung von Inklusion
beigetragen.

Die Arbeitsweise der Offenen Einrichtungen entfaltet großes Demokratiepotenzial bei
Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Denn mit ihrem gesetzlichen Auftrag und
ihren Rahmenbedingungen bietet die OKJA beste Voraussetzungen für das Erlernen
demokratischen Handelns: Kinder und Jugendliche bringen Wünsche, Themen und Interessen
ein, im Kleinen im Jugendzentrum und vor Ort im Sozialraum oder Stadtteil. Teil des
Aushandlungsprozesses sind indes neben Interessen und mitgebrachten Themen auch
Regeln und Werte der unterschiedlichen Träger. Zu diesen Werten gehört in den
Einrichtungen auch die Ablehnung jeglicher Form von Rechtsextremismus, Antisemitismus
und Rassismus.

Gleichzeitig ist die OKJA zwischen Schule, Ausbildung und Familie eine wichtige
Sozialisationsinstanz. Einfacher ausgedrückt: Viele Besuchende finden in ihren
Jugendzentren, Bauspielplätzen oder Einrichtungen eine zweite Heimat und einen Ort des
Vertrauens, einen Ort des gemeinschaftlichen Miteinanders. Die Räume der Offenen Kinderund
Jugendarbeit eröffnen ergänzende Möglichkeiten des Zugangs und der
Beziehungsarbeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich junge Menschen in dieser Umgebung
vertrauensvoll an Mitarbeitende der OKJA wenden, wenn sie von rechtsextremistischen oder
anderen Übergriffen betroffen sind, ist daher hoch. Und auch andersherum sind es eben jene
Mitarbeitende, die Veränderungen der Kinder und Jugendlichen und gefährliche Tendenzen
bemerken können.

Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als Orte gelebter Demokratie und Inklusion!

„Kinder- und Jugendarbeit ist eine ausgesprochen erfolgreiche Institution. Sie
erreicht mit sehr wenigen Fachkräften eine sehr große Zahl von freiwillig und
motiviert teilnehmenden Kindern und Jugendlichen und fördert Bildung als
Entwicklung von eigenverantwortlicher Persönlichkeit und Demokratiekompetenz.“1

Vor fünf Jahren startete die AGOT-NRW das Projekt „Vielfalt! – wir leben sie!“. In den
beteiligten Einrichtungen fanden Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund sehr schnell
einen Ort, an dem sie sich angenommen fühlten. Sie konnten ankommen in einer für sie
fremden und anderen Kultur. Dies verwundert nicht: Schon seit Jahrzehnten arbeitet die
OKJA in NRW erfolgreich mit der Begegnung in Vielfalt und überwindet dabei – ganz im Sinne
des Inklusionsgedankens und einer gemeinsamen Idee von Vielfalt – immer wieder Barrieren
und Herausforderungen. Die Offenen Türen sind in diesem Zusammenhang zu einer
besonderen Anlaufstelle für Kinder und Jugendlichen im Kontext von Flucht und Migration
geworden und zu Orten, die Begegnungen eines „Miteinander vielfältig Seins“ ermöglichen.
Die gelebte Vielfalt entfaltet bei allen Beteiligten ein enormes Präventionspotenzial mit Blick
auf extremistische Tendenzen.

„Kinder und Jugendliche gestalten die Offene Kinder- und Jugendarbeit entscheidend
mit. Die Einübung demokratischen Handelns ist Ziel und Praxis Offener Arbeit.
Partizipation ist von den Fachkräften mit einer offenen Haltung zu gestalten. Offene
Kinder- und Jugendarbeit bietet informelle und formelle Beteiligungsformen […].
Demokratie wird durch Unterstellung von Mündigkeit und die Praxis demokratischen
Handelns gelernt. Gelebte Partizipation ist hochgradig wirksame Bildung.“2

Dieser Forderung, die in dem Themenfeld Demokratieförderung,
Rechtsextremismusprävention, politische Bildung und Rassismuskritik arbeitenden
Menschen mehr zu unterstützen, haben sich die gewählten Vertreter*innen der
demokratischen Fraktionen in NRW mehrfach angeschlossen. Zuletzt etwa im Frühjahr 2019
in einem Beschluss nach dem Attentat in Bottrop und Essen, in der Silvesternacht
(2018/2019), wo ein Mann mit einem Auto in eine feiernde Menschenmenge gefahren ist: Die
Landesregierung wurde aufgefordert, die Arbeit des Landes gegen Rechtsextremismus und
Rassismus weiter zu stärken. Auch das integrierte Handlungskonzept gegen
Rechtsextremismus und Rassismus, das im Mai 2016 verabschiedet wurde und derzeit
weiterentwickelt wird und vor allem die Handlungsempfehlungen des im Mai 2017 einstimmig
beschlossenen Abschlussberichtes des NSU-Untersuchungsausschusses in NRW müssen
vollumfänglich umgesetzt werden.

Bei der Anerkennung der bereits umgesetzten Maßnahmen und unternommenen
Anstrengungen hegt die AGOT-NRW jedoch die Befürchtung, dass diesen Notwendigkeiten
bislang unzureichend Rechnung getragen wurde. Während zum Beispiel in den
Sicherheitsbehörden Stellen geschaffen wurden, ist die gezielte Förderung von
zivilgesellschaftlichen Projekten und demokratiefördernden Maßnahmen in der Arbeit mit
Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend, um die gestiegenen Bedarfe zu decken. Auch
im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit müssen rassismuskritische Ansätze
maßgeblich bedacht werden. Hier sei noch zu betonen, dass Rassismus und
Rechtsextremismus strukturell verankert sind und damit immer wieder zu Tage treten. Die
Übersetzung eines „Miteinander vielfältig Seins“, als rassismuskritischer und inklusiver
Ansatz in die Offene Kinder und Jugendarbeit ist uns ein dringliches Anliegen.

In der AGOT-NRW sind „Initiativen und Maßnahmen gegen Homophobie, Gewalt und
Rassismus“3 ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. Insbesondere im Projekt „Vielfalt – wir
leben sie!“ (gefördert aus der Titelgruppe 68) konnte diese Zielsetzung ganz praktisch
verfolgt werden: Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Fluchthintergrund im
Sinne eines „Miteinander vielfältig Seins“ bedarf der Annahme von immer wiederkehrenden
aber auch neuen Herausforderungen über eine längere Zeit. Eine gelungene Inklusion und
Partizipation in der OKJA mit Kindern und Jugendlichen mit und ohne Fluchthintergrund ist
ein wichtiger Bestandteil für die Rassismusprävention. In diesem Zusammenhang muss auch
ein Blick auf ein wichtiges Spannungsfeld geworfen werden: Es müssen mit Blick auf die
Titelgruppe 68 Benachteiligungen und die besondere Situation für Kinder und Jugendliche
mit Fluchthintergrund sichtbar gemacht werden ohne diese dabei zu „labeln“ und ohne die
Problematik des sogenannten „Othering“. Auch das bedeutet für die Offene Kinder und
Jugendarbeit rassismuskritisch und sensibel „Miteinander vielfältig Sein“. Dieser Aspekt
wurde in den letzten fünf Jahren gut umgesetzt und sollte verstetigt sowie in seiner
Zielsetzung erweitert und nachhaltig weiterentwickelt werden. Die Herausforderungen sind
nicht allein mit finanziellen Mitteln zu bewältigen. Sie erfordern auch eine aktive Reaktion
auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die die Realitäten einer durch Vielfalt geprägten
Gesellschaft anerkennt, dem Thema Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem
stärkere Beachtung zukommen lässt und den von Rassismus und anderen
Diskriminierungsformen Betroffenen Raum und Anerkennung zuspricht und für eben jene
Betroffene ein- und aufsteht.

Deshalb unterstützt die AGOT-NRW grundsätzlich jede Initiative, deren Ziel es ist, Rassismus,
Antisemitismus und Rechtsextremismus wirksam entgegen zu treten und gibt aus ihrer Sicht
die folgende Stellungnahme ab.

1. Betroffene ernst nehmen

Die Akteur*innen der OKJA setzen sich für eine Gesellschaft ein, in der alle Menschen
gleiche Rechte haben und gleich geschützt werden – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer
Ethnie, ihrem Status und allen anderen Merkmalen. Dabei hat die OKJA insbesondere Kinder
und Jugendliche im Blick. Noch immer werden die Menschen, denen von rechter und
rassistischer Seite ihre Integrität abgesprochen wird, zu selten gehört und ihre Forderungen
ignoriert. Die tatsächlich und potenziell von Rassismus, Antisemitismus und anderen
Ungleichwertigkeitsideologien Betroffenen müssen ernst genommen werden! Ihre
Perspektiven, Erfahrungen und Expertisen sollten wertgeschätzt und in den Mittelpunkt eines
demokratischen und menschenrechtsorientierten Handelns gestellt werden, das auf die
Gestaltung eines Zusammenlebens in einer pluralistischen Gesellschaft abzielt.
Migrantische Organisationen und entsprechende Netzwerke sollten in der Bearbeitung der
Herausforderungen auf Bundes- und Landesebene stärker einbezogen und in landesweite
Strukturen zum Themenfeld Rechtsextremismus und Rassismus intensiver eingebunden
werden. Auch für Anhörungen wie diese müssen Selbstvertretungsorganisationen
mitberücksichtigt werden.

2. Selbstorganisation und Empowerment unterstützen

Zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus gehört die
Stärkung der Selbstorganisationen von Betroffenen und marginalisierten Gruppen. So
können Menschen ihre individuellen und kollektiven Ressourcen mobilisieren, die von
rassistischen Praktiken verursachte Ohnmacht überwinden und individuelle und
gesellschaftliche Veränderungen selbst mitgestalten. Es braucht Räume, Strukturen und
Projekte, die der Selbstermächtigung dienen und die angemessen unterstützt werden
müssen. Hier leisten die Einrichtungen der OKJA wichtige Beiträge für alle Kinder und
Jugendlichen, wie oben bereits beschrieben. Auch Power Sharing sowie die kritische
Reflexion über Privilegien, Ressourcenzugänge und Machtstrukturen sind uns in diesem
Kontext ein großes Anliegen.

3. Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung als Querschnittsaufgabe verstehen

Die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung darf nicht allein an „Expert*innen“
abgegeben werden, denn sie ist dauerhafte Anforderung an die Gesamtgesellschaft. Dabei
sollten – bei Anerkennung aller Unterschiedlichkeiten in den einzelnen Phänomenbereichen
– verschiedene Diskriminierungsperspektiven zusammengedacht und das „Miteinander
vielfältig Sein“ gestärkt werden. Die Auseinandersetzung mit Rassismus und
Diskriminierung muss auch die institutionelle und strukturelle Ebene in den Blick nehmen:
Auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, in den Bildungsinstitutionen, in Verwaltung
und Behörden, bei den Aufstiegschancen, bei Partizipationsmöglichkeiten usw. Damit einher
gehen eine Reflexion der eigenen Haltung und der Blick auf blinde Flecken. Um die
Verpflichtung aller auf ein gleichberechtigtes und vielfältiges Miteinander zu verdeutlichen,
bedarf es öffentlicher Signale. Ein solches Signal könnte eine Erweiterung der Verfassung
des Landes Nordrhein-Westfalen um einen Passus zum Thema Antirassismus sein oder die
Implementierung einer*s ‚Beauftragten für Antirassismus‘ in der Landesregierung.

4. Professionelle Beratungsangebote ausbauen

Es braucht fachlich qualifizierte Anlaufstellen für die Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung, die Einrichtungen und Mitarbeitende
der OKJA beraten und unterstützen.
Bestehende Beratungsstrukturen – wie Antidiskriminierungsberatung, Mobile Beratung und
Opferberatung in NRW – müssen ausgebaut und langfristig gefördert werden, um auch dem
Qualifizierungsbedarf von Fachkräften und anderen Multiplikator*innen gerecht zu werden.
Dabei muss die Unabhängigkeit der Ansprechpartner*innen und die Möglichkeit der
Bearbeitung von Fällen behördlicher Diskriminierung erhalten bleiben. Zusätzlich ist über
eine Diskriminierungs-Beschwerdestelle für z.B. Kitas, Schulen, die Einrichtungen und
Verbände der Kinder- und Jugendarbeit, Sportvereine und für Betroffene behördlicher
Diskriminierung nachzudenken.
Erfahrungen aus unseren Einrichtungen zeigen: Zunehmend sind Personen, dabei
insbesondere Heranwachsende, von digitalen Anfeindungen und Bedrohungen im Netz
betroffen. Diese Fälle benötigen qualifizierte Beratungsangebote, die sich spezifisch mit
diesen Herausforderungen, vor allem der Verbindung verschiedener Kompetenzbereiche
(psychosoziale, juristische, finanzielle Beratung) im Bereich digitaler Anfeindungen,
auseinandersetzen.

5. Rassismuskritische Sensibilisierung als Querschnittsaufgabe begreifen

Die Verstärkung der Präventionsarbeit im Themenbereich begrüßt die AGOT-NRW
ausdrücklich! Es bedarf einer breiten Verankerung des Themas auch in der OKJA, um
beispielsweise rassismuskritische Qualifizierungsmaßnahmen zu implementieren und das
vorhandene Präventionspotenzial zu nutzen und zu stärken. Die gesellschaftliche
Bearbeitung von Rechtsextremismus ist dabei nicht allein Aufgabe der Sicherheitsbehörden,
sondern insbesondere auch von zivilgesellschaftlichen Stellen und Akteuren.
Konkret fordert die AGOT-NRW: Projekte und Förderprogramme mit entsprechender
Zielsetzung – zum Beispiel im Kinder- und Jugendförderplan – müssen ausgeweitet und
bekannter gemacht werden, und der Zugang muss niedrigschwelliger umgesetzt werden.

6. Rechtsextremismusprävention, politische Bildung und Demokratieförderung als

Schwerpunkt (nicht nur) der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ausbauen und stärken
Angebote und Projekte, bei denen Demokratie gelebt wird und Kinder und Jugendliche
Möglichkeiten haben, ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen für ein gemeinsames
Miteinander zu entwickeln und zu vertreten, müssen langfristig gestärkt werden. Mit den
erheblich gestiegenen Anforderungen und Herausforderungen müssen auch die Ressourcen
für Demokratieförderung erheblich steigen – und zwar unbefristet, damit Menschen, die
Expertise aufbauen und sich in diese Themenbereiche begeben, dafür die notwendige
Anerkennung und Sicherheit erfahren. Hier sollte das Land NRW für verbindliche Regelungen
z.B. in einem Demokratieförderungsgesetz sorgen. Ergänzende Projektmittel im Kinder- und
Jugendförderplan sind auch hier ein adäquates Mittel.

7. Qualitätsorientierte Arbeit verstetigen

Viele Projekte für Demokratieförderung bekommen als Projekt eine jährlich zu beantragende
Förderung aus Bundes- und Landesmitteln. Erfolgreiche Projekte wie die Maßnahmen der
„Titelgruppe 68“ werden auf diese Weise gefördert. Die Kinder- und Jugendarbeit mit
Geflüchteten sowie die Antirassismusarbeit sind aber keine „Projekte“, sondern
kontinuierliche Aufgaben, die einer stetigen konzeptionellen Weiterentwicklung und
Förderung bedürfen. Nur eine dauerhafte Finanzierung schafft Planungssicherheit und
ermöglicht eine qualitätsorientierte, professionelle und nachhaltige Arbeit. Zudem sind
überjährige Förderungen zur Entlastung der Träger und Fachkräfte nötig; die Probleme von
an Haushaltsjahre geknüpften Projektmitteln wurden an anderen Stellen hinlänglich
diskutiert und treffen auch hier zu.
Insbesondere mit Blick auf die Titelgruppe 68 erhoffen wir uns eine Verstetigung mit
Planungssicherheit und kleineren thematischen Veränderungen und Weiterentwicklungen.

8. Klarheit bei der Bekämpfung von Extremismus: Doppelstrukturen vermeiden – Ursprünge
erkennen

In der (sozial)pädagogischen Auseinandersetzung mit Phänomenen wie Rechtsextremismus
und Rassismus sowie bei Projekten der Demokratieförderung geht es neben der Entwicklung
und Aushandlung gemeinsamer Wertevorstellungen und Konzepte sozialen Miteinanders u.a.
auch um Sensibilisierung für und Reflexion von Vorurteilen oder menschenfeindlichen
Einstellungen – auch innerhalb der gesellschaftlichen „Mitte“. Eine genaue, weil ursächliche
Problembeschreibung wird durch die Vermischung unterschiedlicher Phänomene und durch
Zusammenführung in „Extremismuszentren“ erschwert. In NRW existiert eine professionelle
Beratungs- und Präventionslandschaft im Themenfeld Rechtsextremismus, die als
Ansprech- und Kooperationspartner*innen für Angebote der OKJA sowie für
Jugendverbände fungieren. Diese gilt es auszubauen, statt eine Entstehung von
Doppelstrukturen zu begünstigen. In der politischen Bildung und
Rechtsextremismusprävention ist diese Theorie und die daraus folgende Praxis seit Jahren
in der Kritik. Nicht zuletzt der Extremismusbegriff verdeckt, was empirische Studien zu
rechtsextremen Einstellungsmustern und ihrer Ausbreitung bereits seit Jahrzehnten
deutlich machen: Dass etwa gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in allen Teilen der
Gesellschaft verbreitet ist. Folglich ist die „gute, demokratische Mitte“, die frei von
Ungleichwertigkeitsvorstellungen ist, höchstens eine realitätsferne Idealvorstellung. Eine für
die nachhaltige Prävention und Intervention notwendige Diskussion über die tieferliegenden
Ursachen von (Rechts-)Extremismus ist damit nicht möglich, denn für eine Ursachenanalyse
müssen ideologische Anknüpfungspunkte im gesellschaftlichen Mainstream,
Demokratiedefizite, politische Kultur und Sozialisationsbedingungen in den Blick gerückt und
aufgearbeitet werden.

Das geschieht jedoch nicht, wenn ein extremes „Außen“ konstruiert und gleichgesetzt wird,
das keinerlei Übergänge zum demokratischen „Inneren“ aufweist oder Unterschiede auf der
Einstellungsebene bei den verschiedenen „Extremismen“ ignoriert werden.4

9. Begünstigende Faktoren aktiv verringern.

Als Voraussetzung für den individuellen Affinitätsaufbau hin zu rechtsextremen
Einstellungen und Verhaltensweisen gilt auch tatsächliche und gefühlte dauerhafte und
systemische Benachteiligung, bezogen auch auf Benachteiligungs- und
Ausgrenzungserfahrungen in Gesellschaft, Familie, Schule, Ausbildung/Arbeit und in Peer-
Zusammenhängen.5

Tatsächlich geht die Schere zwischen arm und reich ständig weiter auseinander; die
materielle Ungleichheit in Deutschland war noch nie so groß. Auch im Bildungssystem
bescheinigt die OECD Deutschland Versäumnisse. „Wie in allen Staaten gibt es in
Deutschland weiterhin einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen
Status des Elternhauses und den PISA-Ergebnissen der Kinder. Der Zusammenhang ist in
Deutschland allerdings größer als im OECD-Schnitt und er ist in den vergangenen Jahren
auch noch angestiegen.“6
Dem individuellen Affinitätsaufbau hin zu rechtsextremen Einstellungen und
Verhaltensweisen ist u.a. durch deutlich mehr und gezielte Investitionen in die Bildung und
weiteren geeigneten – Familien finanziell entlastende – Maßnahmen entgegenzuwirken.

Die AGOT-NRW begleitet gerne weitere Überlegungen in den Themenfeldern
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus oder beteiligt sich an der Entwicklung
oder Überarbeitung von Konzepten und Projekten. Auch steht sie für weitere Anfragen gern
zur Verfügung.

1 Benedikt Sturzenhecker: Kinder- und Jugendarbeit ist erfolgreich. FORUM für Kinder- und Jugendarbeit 1/2007, S. 18-23.
2 Tür auf – Kinder und Jugend jetzt! Positionen der AGOT-NRW für eine starke Offene Kinder- und Jugendarbeit, Düsseldorf 2019.
3 www.agot-nrw.de/ueber-uns.
4 vgl. www.idaev.de/fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/Reader/2018_IDA_Extremismusmodell.pdf
5 vgl. Reiner Becker: Wege in den Rechtsextremismus, 2012.
6 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pisa-studie-1702496.

Quellenangaben:
AGOT NRW: Tür auf – Kinder und Jugend jetzt! Positionen der AGOT-NRW für eine starke Offene Kinder- und
Jugendarbeit, Düsseldorf 2019. www.agot-nrw.de/ueber-uns. (Zuletzt abgerufen: 17. September – 12:25 Uhr).

Becker, Reiner: Wege in den Rechtsextremismus, 2012.

Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pisa-studie-1702496. (Zuletzt
abgerufen: 18. September – 15:25 Uhr).

IDA: www.idaev.de/fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/Reader/2018_IDA_Extremismusmodell.pdf.
(Zuletzt abgerufen: 18. September 2020 – 15:00 Uhr).

Sturzenhecker, Benedikt: Kinder- und Jugendarbeit ist erfolgreich. FORUM für Kinder- und Jugendarbeit
1/2007, S. 18-23.