Offene Kinder – und Jugendarbeit in NRW

Nach der zweiten Strukturdatenerhebung zur offenen Kinder- und Jugendarbeit wird deutlich, dass die personelle Situation in diesem Arbeitsbereich immer enger wird. Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und minimale personelle Besetzung lassen kaum Entwicklungsmöglichkeiten in der Offenen Arbeit zu.

Am 19. Januar 2005 meldete die Gewerkschaft ver.di über ihren Newsticker, dass im Einzelhandel ca. 33% aller Arbeitsplätze in Form der Teilzeitbeschäftigung insbesondere für geringfügig Beschäftigte besetzt sind. Zu diesem Ergebnis kommt der von ver.di in Auftrag gegebene „Branchenreport-Einzelhandel“ für das Jahr 2004. Einzelne SB-Warenhäuser verzeichnen dabei eine 40prozentige Quote, im Bereich der Warenhäuser der Woolworth GmbH mit über 60 Prozent Teilzeitbeschäftigung. Diese Zahlen werden von ver.di als besonders negativ bezeichnet.

Nachdem die neuen Befunde aus der zweiten Strukturdatenerhebung zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit vom nordrhein-westfälischen Jugendministerium veröffentlicht wurden, weiß man, dass die Quote der Teilzeitarbeit bei den hauptberuflichen sozialpädagogischen Fachkräften auch im System der Offenen Kinder- und Jugendarbeit besonders hoch ist.

Nimmt man die freien und öffentlichen Träger zusammen, dann weisen nur 60,7 % aller sozialpädagogischen Fachkräfte eine Vollzeitstelle auf. Differenziert man in freie und öffentliche Träger zeigt sich, dass bei den freien Trägern der Anteil der in Vollzeit beschäftigten sozialpädagogischen Fachkräfte noch geringer ausfällt, nämlich 56,2%. Dementsprechend höher ist der Anteil der besetzten Vollzeitstellen bei den öffentlichen Trägern: 67,3%.

In absoluten Zahlen bedeutet das, dass von den 3 700 sozialpädagogischen Fachkräften im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (davon 91% in Häusern der offenen Tür) nur 2 220 landesweit auf einer Vollzeitstelle arbeiten. 1 480 Fachkräfte arbeiten 19,25 Wochenstunden oder sogar noch weniger.

Das gesellschaftliche Spiegelbild entwickelt sich vollends weiter, wenn nach Frauen und Männern differenziert wird. Wer die Vermutung hegt, dass wesentlich mehr Frauen teilzeitbeschäftigt sind, wird recht behalten. 68,3% aller Teilzeitstellen sind von Frauen besetzt, aber nur 43,6% aller Vollzeitstellen.

Die grobe Relation der Gesamtzahl aller sozialpädagogischen Fachkräfte zur Anzahl der Häuser der offenen Tür zeigt, wie begrenzt die personalen Ressourcen im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in NRW sind: in 2 200 Häusern der Offenen Tür arbeiten gerade einmal 3 700 sozialpädagogische Fachkräfte. D.h. statistisch betrachtet, in 1 500 Einrichtungen wirken zwei sozialpädagogische Fachkräfte, in 700 Einrichtungen nur eine Fachkraft. Prozentual ausgedrückt, bedeutet das, dass in nur 68% aller Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zwei sozialpädagogische Fachkräfte angestellt sind. Wie gesagt, das ist aber nur die „statistische Wirklichkeit“. Im Land Nordrhein-Westfalen ist aber zu beobachten, dass es auch Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit gibt, die mit mehr als zwei sozialpädagogischen Fachkräften arbeiten. D.h. im Umkehrschluss, dass die Anzahl der Einrichtungen mit einer sozialpädagogischen Fachkraft noch wesentlich größer ist, als es der statistische Wert auszudrücken vermag.

Interessant dürfte es werden, wenn die Teilzeitbeschäftigung auf ihre Verortung hin, in welchen Einrichtungstypen sie auftritt, untersucht wird. Die Vermutungen liegen auf der Hand: die nicht ausreichende, bedarfsgerechte Höhe der öffentlichen Fördermittel, die als wesentlicher Faktor für die Anzahl der Fachkraftstellen zu betrachten ist, führt immer mehr dazu, dass die Tendenz zum Stellenabbau und zur Teilzeitbeschäftigung anhält. In einem großen Trägerverein der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Ruhrgebiet waren vor 20 Jahren 24 sozialpädagogische Fachkräfte beschäftigt, heute sind es 12 sozialpädagogische Fachkräfte.

Diese reale Tendenz in der Beschäftigung von sozialpädagogischen Fachkräften muss mit einem weiteren Befund kurzgeschlossen werden. Nach den Erhebungen der Kinder- und Jugendhilfestatistik arbeiten nur 53,4% des gesamten Personals in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit als „Angestellte, unbefristet beschäftigt“. Aus Untersuchungen zur Arbeitsplatzsituation von sozialpädagogischen Fachkräften z.B. in Tageseinrichtungen für Kinder weiß man, dass die Sicherheit bzw. Unsicherheit des Arbeitsplatzes etwas mit der allgemeinen Arbeitszufriedenheit zu tun hat. Arbeitsunzufriedenheit in pädagogischen Berufen bedeutet immer gleichzeitig eine nicht besonders förderliche pädagogische Haltung im Umgang mit den Zielgruppen der jeweiligen Einrichtung.

Untersucht man die Qualifikationsabschlüsse der sozialpädagogischen Fachkräfte in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit stellt man fest, dass der Anteil der Fachkräfte ohne Ausbildung wesentlich geringer als in der gesamten Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen ist: In der Offenen Kinder- und Jugendarbeit verfügen 10,9% über keine berufsspezifische Ausbildung (1998: in der gesamten Kinder- und Jugendarbeit in NRW: 27,7% der Beschäftigten ohne Ausbildung !!). Insgesamt haben 56,5% der Fachkräfte ein Fachhochschulstudium der Sozialpädagogik oder der Sozialarbeit abgeschlossen. Weitere 10,7% aller hauptberuflich tätigen Mitarbeiterinnen können einen anderen Hochschulabschluss aufweisen, wobei 7% einen Abschluss als Diplom-Pädagogen erworben haben. 21,9% besitzen eine Ausbildung zur Erzieherin bzw. Erzieher. Differenziert man diese Anteile nach freien und öffentlichen Trägern, dann ist zu beobachten, dass das Qualifikationsniveau bei den öffentlichen Trägern deutlich höher ist, vielleicht eine Konsequenz aus der Existenz von Personalräten beim öffentlichen Träger, die auf die Qualifikationsniveaus bei der Stellenvergabe achten.

Als Zwischenresümee lässt sich feststellen, dass der Anteil der deregulierten Arbeitsverhältnisse in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit hoch ist und dass der Anteil der Teilzeitarbeit ein großes Ausmaß erreicht.

Neben diesen Befunden zur personellen Ausstattung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sollte man einmal die Tätigkeitsarten der sozialpädagogischen Fachkräfte und ihre zeitlichen Anteile untersuchen. Viele sozialpädagogische Fachkräfte in den Häusern der offenen Tür machen die Erfahrung, dass die Zeitanteile für die praktische Pädagogik immer geringer werden. Zeitprotokolle der wöchentlich ausgeführten Tätigkeiten von sozialpädagogischen Fachkräften in Häusern der offenen Tür können belegen, dass der zeitliche Anteil der praktischen Pädagogik als „direktes Kommunizieren mit Kindern und Jugendlichen“ zwischen 20 und 25% der gesamten Wochenarbeitszeit liegt. Die anderen zeitlichen Anteile werden durch allerlei Tätigkeiten belegt: Öffentlichkeitsarbeit, Vorbereitung und Auswertung, Geschäftsführung, Finanzaquise, Qualitätsentwicklung, Teamsitzungen, Fortbildung und Betreuung von Ehrenamtlern, externe Sitzungen (Jugendamt, Verband, AGOT, Schulen, etc.) und Projektvorbereitung und – entwicklung.

Diese Entwicklung wird durch zwei Faktoren verursacht: durch den Stellenabbau in den vergangenen Jahren und durch die gestiegenen inhaltlich-organisatorisch-kommunikativen Anforderungen in der Ausgestaltung der Arbeit in Häusern der offenen Tür.

Es gilt, die hier vorgestellten Befunde in die jugendpolitische Diskussion einzubringen, um realistische Einschätzungen von den Handlungsmöglichkeiten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit entwickeln zu können.

„Die Offene Kinder- und Jugendarbeit hat ein erhebliches Personalproblem, das bei allen Themen im Hintergrund `mitläuft´ und kaum angepackt wird“, konstatiert Ulrich Deinet in der Monatzeitschrift „deutsche jugend“ (Nr. 1, 2005) in seinem Aufsatz „Zukunftsmodell Offene Kinder- und Jugendarbeit“. Deinet spricht hier die weiteren zentralen Probleme der hauptberuflichen Beschäftigung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit an: fehlende Aufstiegsmöglichkeiten (Personalentwicklungsplanung), kaum vorhandene Ausstiegsmöglichkeiten und das Problem des Älterwerdens im Jugendhaus.

Das ist die Ebene der Personalentwicklungsplanung. Und dann gibt es noch die Ebene der Perspektiven der Förderung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen. Offene Kinder- und Jugendarbeit soll zur Kooperation mit dem Sek1-Schulbereich „bewegt“ werden.

In diesem Zusammenhang bewertet Reinhard Liebig von der Universität Dortmund die Personalressourcen: „Im Vergleich zu dem Schulsystem, der auf Grund der politisch angestrebten Kooperationsbeziehungen zwischen Jugendarbeit und Schule noch weitere Konnotationen mit sich bringt, erscheinen die Personalressourcen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit als eher gering.“

von Norbert Kozicki

(Referent für Jugendpolitik beim Falken Bildungs- und Freizeitwerk NRW e.V.)