Eigene Maßstäbe für die Kooperation mit Schule setzen!

Offene Kinder- und Jugendarbeit hat im Rahmen des Einmischungsauftrags und mit dem Gebot des Zusammenwirkens von Schule und Jugendarbeit auch die Aufgabe, bildungspolitische Positionen zu entwickeln. Damit einher geht ein Verständnis von Bildung, das auch nonformale und informelle Bildungsprozesse umfasst. …

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Im Alltag und im Konzept Offener Kinder- und Jugendarbeit bleibt es eine ständige Herausforderung, sich in Systeme einzumischen, die über das Leben von Kindern und Jugendlichen mitentscheiden. Dies tut OKJA in vielfältiger Weise, zunehmend auch in schulischen Kontexten. Von 2008 bis 2017 stieg die Zahl der im offenen Ganztag betreuten Kinder und Jugendlichen von 22,7% auf 43,4 % oder fast 296.000. In den Grundschulen ist die Quote mit 45,2% noch etwas höher, an Gymnasien mit 16,4% deutlich geringer. 1
Mit dem massiven Ausbau des Offenen Ganztags konkurriert die Offene Kinder- und Jugendarbeit zunehmend um Zeitressourcen der gemeinsamen Zielgruppe am Nachmittag und ist pädagogisch begründet oder häufig aus Existenznot Träger der Offenen Ganztage. Die Kooperationen sind allerdings deutlich vielfältiger als der eingeschränkte Blick auf den Ganztag vermuten lässt. So gibt es zahlreiche Schulen, die etwa vormittags Jugendfarmen nutzen, Jugendeinrichtungen, die Kulturprojekte mit Schulen zusammen durchführen, gemeinsame Demokratieprojekte und Veranstaltungen im Sozialraum sowie Aktivitäten an der Schnittstelle zur Jugendhilfe. Diese Liste könnte beliebig erweitert werden.

Offene Kinder- und Jugendarbeit hat im Rahmen des Einmischungsauftrags nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz 1 und mit dem Gebot des Zusammenwirkens von Schule und Jugendarbeit nach dem nordrhein-westfälischen Kinder- und Jugendförderungsgesetz 2 auch die Aufgabe, bildungspolitische Positionen zu entwickeln und zu vertreten. So soll Jugendhilfe u.a. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen. Faktisch wurden Anforderungen von außen an die Offene Arbeit zur Kooperation mit Schulen erst mit dem sogenannten PISA-Schock vermehrt formuliert: In den Untersuchungen ging es zwar um Schulen, in den Fachdiskussionen setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass keine Institution Bildung allein schafft! Damit einher geht ein Verständnis von Bildung, das neben der formalen Bildung (im Unterricht) auch nonformale und informelle Bildungsprozesse umfasst, wie sie insbesondere in Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe stattfinden. 3 Die Anerkennung der Bildungswirksamkeit Offener Kinder- und Jugendarbeit, wie sie etwa auch im 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung formuliert wird, kann jedoch nicht über die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Schule und OKJA hinwegtäuschen. Über die Trägerschaft der offenen Ganztagsbetreuung und ggf. die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit den freien Trägern entscheidet die Schule allein, ebenso über alle wesentlichen Rahmenbedingungen des Ganztags und des vormittäglichen Unterrichts. Vielerorts erschweren schulische Strukturen die Kooperation, wirken eher als Verhinderungsstrukturen.

Die OKJA selbst hat sich jahrelang auf die angesichts der Schulpflicht, der ungleichen Finanzbudgets und Größenordnungen von Schule und Jugendarbeit sehr unrealistische Forderung nach „gleicher Augenhöhe“ fokussiert und den Anspruch formuliert, Schule und ihre Strukturen zum Teil grundlegend verändern zu wollen und ist damit bis auf wenige Ausnahmen gescheitert. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit findet im Bildungsdiskurs in ihrer Eigenständigkeit zu wenig Berücksichtigung. In der aktuellen Bildungsdebatte dominiert das Thema Kooperation von Schule und Jugendhilfe, hier dann verschärft in der Fokussierung auf die Ganztagsbetreuung, selbst wenn es um ein ganzheitliches Bildungsverständnis gehen sollte. In kommunalen Bildungslandschaften hingegen ist OKJA selten gesetzte Partnerin. Daher braucht es ein klares politisches Signal zur Anerkennung und Beteiligung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit als unverzichtbare Partnerin in Bildungsfragen in allen Politikfeldern, die Kinder und Jugendliche im Rahmen von Bildungsprozessen betreffen. Dabei ist die Kooperation mit Schule ein – allerdings das bedeutendste – Feld.

Sinn und Berechtigung der Übernahme und des Betriebs von Offener Ganztagsbetreuung ergeben sich für die Offene Kinder- und Jugendarbeit nicht aus dem Interesse und Bedarf der Eltern an Betreuungsplätzen für ihre Kinder, weil OKJA keine Betreuungsaufgabe hat, und auch nicht aus möglicherweise berechtigter Kritik an Schulen mit ihren Strukturen und Prozessen, da OKJA keinen Auftrag zur Schulentwicklung hat. Vielmehr muss wesentliches Kriterium sein, ob die offene Kinder- und Jugendarbeit ihren Auftrag nach § 11 Abs. 1 SGB VIII (KJHG) erfüllen kann, Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen, die „an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zur gesellschaftlichen Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen“. 3 Zwar ist man sich in der Fachdebatte weitgehend einig, „dass eine Kooperation zwischen Offener Kinder- und Jugendarbeit und Schule nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden sollte und sogar für Kinder und Jugendliche positive Effekte haben kann (vgl. u.a. Deinet/Ickling 2009), diese aber auch potenziell die Realisierung des § 11 SGBVIII gefährden könnte (vgl. u.a. Sturzenhecker/Richter/Karolczak 2014). Denn Schule weist Strukturen auf, die der Offenheit und Freiwilligkeit der Kinder- und Jugendarbeit gegenüberstehen und folgt einem anderen Verständnis von Bildung, nämlich dem der Ausbildung und Qualifizierung (vgl. Sting/Sturzenhecker 2013). Aus diesem Grund erscheint es als wichtig, dass Offene Kinder- und Jugendarbeit nicht eine dienstleistende und kompensatorische Funktion für die Schule übernimmt, sondern ihre eigenen Aufgaben und ihr eigenes Profil im Blick behält“ 4.

Eine allgemeine Empfehlung für oder gegen die Kooperation mit Schule in oder außerhalb der Offenen Ganztagsbetreuung kann es deshalb nicht geben. Aus ihrer eigenen Position hat die Offene Kinder- und Jugendarbeit im Vorfeld zu fragen und einzuschätzen, inwieweit sie unter den vorgefundenen oder veränderbaren Bedingungen ihre Charakteristika und Stärken im Sinne der Kinder und Jugendlichen einbringen kann. Kriterien sind z.B. Bedürfnisorientierung, die Freiwilligkeit der Teilnahme (im Falle von Betreuungsverträgen zumindest die Freiwilligkeit der Teilnahme an den Angeboten), Möglichkeiten der Mitbestim-mung und Mitgestaltung an Programm, Raumgestaltung und Abläufen, Offenheit und Gemeinwesenorientierung, Möglichkeiten der Persönlichkeitsbildung und Gemeinwesenbezug sowie zwingend die Gewährleistung des Subjektstatus aller Kinder und Jugendlichen.

Ferner ist zu fragen, welche personalen und sozialen Kompetenzen die Kinder und Jugendlichen erwerben können, etwa Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung, Orientierung, Entwicklung von Werten. Verantwortungsübernahme, Koopera-tionsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Überzeugungs- und Problemlösungsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit, demokratische Kompetenz.

Im Hinblick auf Strukturen und Abläufe muss sichergestellt werden, dass Kinder und Jugendliche nicht schon durch die Rahmenbedingungen und den Tagesablauf so eingeschränkt werden, dass sie z.B. nur noch entscheiden können, ob sie erst die Hausaufgaben oder das Mittagessen erledigen oder andersherum. Hierzu ist zwingend erforderlich, dass die OKJA ausreichend Freiräume erhält, ihren Auftrag erfüllen zu können.

Offene Kinder- und Jugendarbeit hat grundsätzlich ein Interesse an partnerschaftlichen und verlässlichen Kooperationen mit Schulen. Bestehende und langjährig bewährte Projekte zeigen Voraussetzungen und Bedingungen auf, unter denen gemeinsame pädagogische Bemühungen gelingen können. Generell gehören zu Ermöglichungsstrukturen einer Kooperation eine Verständigung über Grundsätze der gemeinsamen Arbeit und Arbeitsteilung, ein gemeinsames, sich ergänzendes Bildungsverständnis, eine Klärung gemeinsamer, aber auch divergierender Ziele, gemeinsame Vorhaben, eine Regelung zu Ressourcen und Arbeitsformen sowie eine Transparenz der Steuerungsverantwortung, Befugnisse und Entscheidungsspielräume der Beteiligten.

Aus diesen Erfahrungen heraus bietet die Offene Kinder- und Jugendarbeit ihr Wissen und ihren eigenen sozialräumlichen Blick an, um bei der Anpassung der schulischen Lernangebote an die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen mitzuwirken. Insbesondere könnten ihre langjährigen Kenntnisse über die pädagogische Arbeit mit jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in den schulischen interkulturellen Dialog miteinbezogen werden. Dazu bedarf es der Verankerung der Kooperation mit der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in den Schulkonzepten und -programmen, damit Ressourcen hinsichtlich der individuellen Förderung und Motivierung, der Partizipation von Kindern und Jugendlichen, der Einbindung von Eltern und der Öffnung zum sozialen Umfeld genutzt werden können.

Deswegen fordert die AGOT-NRW die Schaffung und Entwicklung von Bildungspartnerschaften als Zukunftsmodell einer Kooperation von Jugendarbeit und Schule im Interesse der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen.

Die AGOT NRW fordert entschieden, dass die finanziellen und personalen Ressourcen der Offenen Arbeit (mit Verweis auf den Offenen Ganztag) nicht weiter abgebaut werden bzw. der Erhalt ihrer Ressourcen von Dienstleistungen für Schule oder Erziehungshilfe abhängig gemacht werden, denn sie hat einen eigenen Auftrag subjektorientierter und demokratischer Bildung, der angesichts der gesellschaftlichen Krisen und Entwicklungen nichts an Aktualität und Bedeutung verloren hat. 5