Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit – ein freier Raum!

Junge Menschen brauchen „Platz“ im öffentlichen Raum. Um sich irgendwo zu treffen, um die freie Zeit selbstbestimmt zu gestalten, mit Freund*innen zu chillen, über Sorgen zu quatschen oder sich gemeinsam über Dinge zu freuen, braucht es neben freier Zeit auch frei verfügbare Räume.

Jugendzentren sind Räume für Jugendliche, die von Jugendlichen partizipativ mitgestaltet werden. Ihre Stärke liegt, im Gegensatz zu vielen anderen Angeboten der Jugendarbeit, in der Möglichkeit, einen eigenen Raum zu haben, ihn gemeinschaftlich zu prägen, zu verändern und zu formen. …

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Das Jugendzentrum…mehr als vier Wände und ein Dach

Gerade junge Menschen haben es mit der Suche nach gemeinsamen Treffpunkten schwer. Schließlich können nicht unzählige Freund*innen in die eigene Wohnung eingeladen werden, öffentliche Parks, Freiflächen oder Schulhöfe werden durch andere Gruppen genutzt und sind anderweitig funktionalisiert. Doch schließlich ist die Jugendphase durch eine selbstständige Eroberung neuer Räume geprägt, in denen die Jugendlichen sich stetig neu ausprobieren. „Bestimmte öffentliche Orte, die als Treffpunkte unter Jugendlichen auserkoren werden, werden nicht selten sehr kurzfristig wieder verlassen.“ 1 Dabei geht es in der Betrachtung von Räumen, die Jugendliche aufsuchen, nicht nur um die bloße Nutzung, sondern um die Schaffung eines Sozialgefüges, inklusive der Aktivitäten, Interaktionen und Handlungen. 2

Im Rahmen dieser ganzheitlichen Betrachtung von „Raumnutzung“ ist ein Jugendzentrum also mehr als ein architektonisches Konstrukt – vier Wände und ein Dach mit ´nem Kicker drin. Es ist darüber hinaus ein Raum, der von allen Beteiligten, also Besucher*innen, Fachkräften, Ehrenamtlichen etc., mit einer Bedeutung versehen, also „[…] mit den Aktivitäten der Beteiligten ausgedehnt oder begrenzt, genutzt, angeeignet oder umgedeutet wird.“ 3

Der „Kickerraum“ ist bspw. ein Raum mit einem spezifischen Gegenstand, zugleich eine Handlungsanimation (kickern, Zeit miteinander verbringen, sich treffen, quatschen). Er kann durch die Jugendlichen umgestaltet werden und hat eine individuelle Bedeutung für sie („Chill-Zone“, Raum, um über den Tag zu sprechen, Ablenkung).

Das Jugendzentrum ist also der einzige Ort, der explizit für Jugendliche gedacht ist. Das Konzept der Jugendarbeit sowie ihre Strukturmerkmale lassen sich auf das Raumkonzept übertragen. Und dies ist ein wichtiges Merkmal in einem sozialpolitischen Diskurs um den Erhalt von Jugendzentren: In einem Jugendzentrum sind die Jugendlichen nicht nur geduldet, wenn sie sich denn an die Regeln halten (also im Rahmen der Funktion agieren, die Erwachsene einem Raum zugedacht haben, wie bspw. öffentliche Parks, Einkaufszentren oder dem Schulgebäude). Vielmehr haben sie hier exklusiv die Gelegenheit, einen „eigenen“ Raum in ihrem Umfeld aufzusuchen, diesen selbstbestimmt zu gestalten, eben „mit ihrem Leben zu füllen“, sich „anzueignen“.

„Raumaneignung“ bedeutet […] für Kinder und Jugendliche nicht nur die Erschließung schon vorhandener und vorstrukturierter Räume […], sondern […] die Schaffung eigener Räume als Platzierungspraxis (Spacing).“ 4 Aus dieser, an Deinet und Krisch angelehnten sozialräumlichen Perspektive, muss das Jugendzentrum nicht den Mittelpunkt jugendlichen Agierens darstellen, sondern ist ein Angebot an junge Menschen, sich das Gebäude, das Interieur sowie das Gelände anzueignen und dieses in die eigene Lebenswelt zu integrieren, in dem sie es aktiv gestalten.

Das Jugendzentrum ist also ein „Freiraum“ für junge Menschen, der andererseits von haupt-, sowie ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen ebenfalls mitgestaltet wird.

Das Jugendzentrum als (Frei-)Raum der Jugendarbeit

Folgt man dieser raumsoziologischen Perspektive, ist die Sicht auf den Raum individuell. Damit tragen aber nicht nur die Kinder und Jugendlichen jeweils unterschiedliche Vorstellungen und Absichten in den Raum „Jugendzentrum“. Ebenso sind die Fachkräfte Teil dieses Konstrukts.

Neben der Bedeutung der Einrichtung als „Arbeitsplatz“ mit den entsprechenden Strukturen, Bedarfen und Erwartungen kann dabei ein konzeptionelles Verständnis von Offener Kinder- und Jugendarbeit und ihren Strukturmerkmalen zu unterschiedlichen Angeboten im Raum führen. Mit der Raumgestaltung und dem Anordnen von Materialien schaffen die Jugendlichen entsprechende Anregungs- und Aneignungsimpulse, um „[…] Tätigkeitsvorschläge [zu unterbreiten], die von den Beteiligten – sowohl den Kindern und Jugendlichen, als auch Erwachsenen – mühelos „entziffert“ werden können: Beispielsweise gibt der Billardtisch das Spiel vor, ebenso wie die Theke eindeutig die Information weiter gibt, dass es sich hier um einen Ort der Versorgung, aber auch des Sitzens handelt.“ 5

Das Jugendzentrum ist also ein „Freiraum“ für junge Menschen, der andererseits von haupt-, sowie ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen ebenfalls mitgestaltet wird.

Fachkräfte und ehrenamtliche Helfer*innen müssen dies berücksichtigen, wenn von freien Räumen für Jugendliche die Rede ist, denn: in einem Jugendzentrum geht es idealerweise um den möglichst maximalen Grad der Selbstbestimmung von Jugendlichen und die Überlegung, wie dies „räumlich“ verwirklicht werden kann. In welchen Räumen haben z.B. Erwachsene keinen Zutritt? Wo können die Besucher*innen Räume selbst gestalten? Wo ergibt es Sinn, mit der Raumgestaltung und der Materialauswahl den Kindern und Jugendlichen ein „unverbindliches Angebot“ zu unterbreiten und aus welchen Räumen können sich Fachkräfte zurückziehen und diesen den Kindern und Jugendlichen überlassen?

Wenn die Fachkraft den Raum betritt

„Freiräume“ zu (er)schaffen heißt nicht, dass Kinder- und Jugendliche in einer Einrichtung sich selbst überlassen sind.

Viele Jugendliche verbinden mit dem Jugendzentrum eine gute Atmosphäre, Spaß und Geselligkeit und verknüpfen dies unmittelbar mit der Fachkraft 6. In einer Studie zu Gewalt in Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit wird im Rahmen der Bedeutung des Jugendzentrums für Jugendliche die soziale Funktion der Fachkräfte untersucht: Zwei Drittel der Jugendlichen (66%) gibt dabei an, den Mitarbeiter*innen zu vertrauen. 7 „Insgesamt fühlen sich 95,6% der Jugendlichen im Jugendzentrum sicher, und für insgesamt 87,1% der Befragten ist es ein Ort, an dem sie sich entspannen können.

Die Fachkräfte sind also von den Jugendlichen erwünscht und haben eine wichtige Funktion in der Einrichtung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit.

Freie Räume – Potentiale der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Sprechen wir von Freiräumen für junge Menschen in der Jugendarbeit, so gilt, dass Fachkräfte hier Möglichkeiten schaffen sollen, damit junge Menschen ein größtmögliches Maß an Freiheit haben: sie können in einer für sie positiven Atmosphäre möglichst eigenmächtig und eigensinnig handeln, in und mit dem Raum interagieren. Die Fachkraft bietet dabei mit eigenen Arrangements Handlungs- und Interaktionsangebote, die idealerweise einladen, sich die Räume zu eigen zu machen. Die Jugendlichen können diese Angebote wahrnehmen, müssen es aber nicht. Ferner können sie sich eigenmächtig den Raum erschließen. Dies kann sich auf die Gestaltung des Raums beziehen, aber eben auch auf die Anordnung von Gegenständen und der Zuweisung der Bedeutung.

Dieser idealtypischen Vorstellung der Raumaneignung von Jugendlichen stehen einige Herausforderungen gegenüber. Zum einen sind hier die verschiedenen Beschränkungen zu nennen, denen der Betrieb der Einrichtung unterliegt (Brandschutz, Hygieneauflagen etc.). Zum anderen sind viele Einrichtungen nicht der alleinigen Nutzung durch Jugendliche vorbehalten (Raumvermietung, Jugendliche haben nur einen Raum in einem Gebäude einer Erwachseneneinrichtung). Weiterhin müssen auch die Kinder und Jugendlichen untereinander aushandeln, wie Räume gestaltet und belebt werden.

Hier gilt es im Sinne der anwaltschaftlichen Vertretung der Kinder und Jugendlichen diesen möglichst viel Raum zu lassen und ihre (An-)Forderungen gegenüber Behörden, anderen Gruppen im Stadtteil und der Kommune zu vertreten.

Dies gilt gleichermaßen für die Einrichtung: Die multiperspektivische Sichtweise auf den Raum und die sich daraus ergebenden Handlungs- und Interaktionsspielräume und die Überlegung, wie Selbstbestimmtheit der jungen Menschen im besten Maße möglich ist, müssen Eingang in die konzeptionellen Überlegungen und das Professionsverständnis der Fachkraft finden.

Dies bedeutet, Macht abzugeben und junge Menschen wirklich entscheiden zu lassen, wofür was im Raum zu nutzen ist und welche Funktionen ihm zugewiesen werden. Wer möchte den Bastelraum im Jugendzentrum? Was soll darin passieren? Wo gibt es Nischen, wenn sich Kinder und Jugendliche zurückziehen wollen? Was macht das Regelplakat am Eingang mit der Interaktion untereinander und sind dies die „Regeln“, die auch die Kinder und Jugendlichen wollen? Diese auftretenden Fragen können und sollen im Dialog mit den Kindern und Jugendlichen regelmäßig beantwortet werden.

Literaturverzeichnis

Behnken, I., Bois-Reymond, M., & Zinneker, J. (1990). Raumerfahrung in der Biographie. Beispiel Kindheit und Jugend, Fernkurs der Universität Hagen. In U. Herlyn, L. Bertels, & U. Herlyn (Hrsg.), Zur Aneignung von Raum im Lebenslauf. Opladen: Leske und Budrich.

Deinet, U., & Krisch, R. (2013). Das sozialräumliche Muster in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. In U. Deinet, & B. Sturzenhecker, Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit (S. 311-324). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Eul, D., & Coelen, T. (10 2017). „Sieht aus wie ´ne Firma“. Gebäudeaussehen von Jugendfreizeiteinrichtungen als Nutzungs- und Zugangsbarriere. Deutsche Jugend(10/2017).

Herlyn, U. (1990). Zur Aneignung von Raum im Lebenslauf. In L. Bertels, U. Herlyn, L. Bertels, & U. Herlyn (Hrsg.), Lebenslauf und Raumerfahrung (S. 7-34). Opladen: Leske und Budrich.

Schäfer, A., Schneid, T., & Möller, R. (2018). Gewalt in Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Frankfurt/ M.: Wochenschau Verlag.

Schulz, M. (2009). Mikroanalyse des Raumes – Die Bedeutung räumlicher Präskripte am Beispiel der Offenen Jugendarbeit. In U. Deinet, Methodenbuch Sozialraum (1. Aufl. Ausg., S. 95-108). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.