Ort gelebter Demokratie!

Kinder und Jugendliche gestalten die Offene Kinder- und Jugendarbeit entscheidend mit. Die Einübung demokratischen Handelns ist Ziel und Praxis Offener Arbeit. Partizipation ist von den Fachkräften mit einer offenen Haltung zu gestalten. Offene Kinder- und Jugendarbeit bietet informelle und formelle Beteiligungsformen, die teils als Recht verankert werden müssen. Demokratie wird durch Unterstellung von Mündigkeit und die Praxis demokratischen Handelns gelernt. Gelebte Partizipation ist hochgradig wirksame Bildung. …

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Kinder- und Jugendarbeit ist von ihrer Geschichte der Jugendbewegung her ohne Beteiligung nicht denkbar. Kinder und Jugendliche sind nicht nur Adressat*innen Offener Kinder- und Jugendarbeit (OKJA), sondern gestalten und verantworten dieses Arbeitsfeld entscheidend mit. OKJA ist offen für alle Anliegen von Kindern und Jugendlichen. Dies ergibt sich zwingend aus ihrer Struktur, zu deren zentralen Pfeilern Offenheit und Freiwilligkeit der Teilnahme gehören. Freiwilligkeit schafft automatisch Partizipativität. Eine Missachtung der Bedürfnisse der Zielgruppe führt unweigerlich zum Wegbleiben der Kinder und Jugendlichen. Die Motivation der Kinder und Jugendlichen zum Besuch der Einrichtungen ist jedoch nicht, sich demokratisch oder selbstbestimmt einzubringen, sondern vielmehr ihre Freizeit zu verbringen und Freunde zu treffen. Partizipation im Sinne von Teilhabe und Teilnahme passiert in der Regel somit nebenbei und ist von den Fachkräften anzuregen, aufzugreifen, zu organisieren, zu gestalten und zuzulassen.

Auch der gesetzliche Auftrag nach § 11 Abs. 1 SGB VIII (KJHG) ist eindeutig: „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zur gesellschaftlichen Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“ 1
In welcher Form und Reichweite dies umgesetzt wird, ist weniger eindeutig, aber keinesfalls beliebig. Träger und Fachkräfte müssen fortwährend reflektieren, wie und inwieweit sie junge Menschen in die Abläufe und Entscheidungen aktiv einbinden. Sie tragen Verantwortung dafür, dass demokratische Prozesse, Teilhabe und die Selbstorganisation junger Menschen möglich sind und erprobt werden können. Dies erfordert eine offene Haltung, Beobachten und Verstehen seitens der Fachkräfte sowie ausreichend Zeit für den Aufbau intensiver und längerfristiger Beziehungen.

„Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zur gesellschaftlichen Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“ Sozialgesetzbuch (SGB VIII) Achtes Buch Kinder- und Jugendhilfe

 

OKJA bietet formelle Beteiligungsformen wie Delegation, Sprecherräte, Vollversammlungen mit Abstimmungen sowie informelle Formen, etwa Gesprächsangebote, situatives Engagement, Initiierung von Aktivitäten und Anregungen, das Aufgreifen von Ideen und die konkrete Unterstützung von Aktivitäten der Kinder und Jugendlichen durch die Fachkräfte.
OKJA geht aktiv auf Kinder und Jugendliche zu, fordert zu Engagement und Partizipation auf und eröffnet ihnen Möglichkeiten, Verantwortung und Leitung zu übernehmen, Meinungen und Auffassungen zu artikulieren und zu diskutieren, Einfluss zu nehmen und gemeinschaftliche Entscheidungen zu treffen. Die Einübung demokratischen Handelns – als Mitgestaltung, Mitbestimmung und Mitverantwortung – ist erklärtes Ziel und gleichzeitig Praxis Offener Arbeit. Offene Kinder- und Jugendarbeit arbeitet mit dem Konstrukt der „kontrafaktischen Mündigkeit“. Man fordert die Mündigkeit der Kinder und Jugendlichen heraus, indem man ihnen Gelegenheit bietet, selbstbestimmt als potentielle Subjekte zu handeln und gleichberechtigt mitzuentscheiden. Demokratie wird zugemutet. 2 Die für Demokratie nötigen Kompetenzen entstehen, wenn Partizipation als Strukturprinzip des gemeinsamen Handelns in den Einrichtungen erfahrbar wird. Demokratie wird durch die Praxis demokratischen Handelns gelernt.

Gelebte Partizipation in den Einrichtungen ist ein Prozess, indem die Beteiligten unterschiedliche Kompetenzen erwerben. Kinder und Jugendliche lernen nicht nur, dass ihre Ideen, Wünsche und Forderungen umgesetzt werden, sie erleben auch persönlichen Zugewinn wie Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Eigeninitia-tive, Empathie, kritisches Denken, Problemlösung, Entscheidungsfindung, Prä-sentationsfähigkeit, Konfliktlösung und Verhandlungsgeschick. In Beteiligungs-formaten mit digitalen Medien kommt zusätzlich Medienkompetenz hinzu. Gelebte Partizipation ist somit hochgradig wirksame subjektorientierte emanzipatorische Bildung 3, somit auch Demokratie- und politische Bildung.
Fachkräfte stützen sich auf vorhandene Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen und unterstützen sie, diese weiterzuentwickeln. Zu einer guten Prozessqualität gehören die Anerkennung aller und die Gleichberechtigung der Beteiligten bei gleichzeitiger Berücksichtigung ihrer Differenz z.B. hinsichtlich Alter, Geschlecht, sozialem Status, Herkunft und Sprache, Wissen und Erfahrung mit Mitbestimmung.

Die AGOT-NRW versteht Partizipation als in Teilen einforderbares Recht. Partizipation wird echt und ernst und ist dann nicht abhängig von der „Gnade“ der Erwachsenen, wenn es nicht nur um Anhörung und Mitsprache geht, sondern auch um Mitbestimmung und Bestimmen relevanter Dinge. Diese Rechte müssen strukturell verankert und den Kindern und Jugendlichen transparent sein. Ideal ist festgelegt, zu welchen Themen sie angehört werden, wo sie mitbestimmen dürfen und was sie eigenständig ohne Vetorecht der Erwachsenen bestimmen dürfen. Partizipation stellt dabei immer auch die Frage nach der Machtverteilung zwischen Fachkräften und Zielgruppe. Dabei entstehende Konflikte sind keine Störungen, sondern fruchtbarer Bestandteil von Partizipation.

Das SGB VIII (KJHG) will diese Selbstbestimmung jedoch nicht individuell-ego-istisch verstanden wissen, sondern spricht von Hinführung zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und sozialem Engagement. Die Ermöglichung und Befähigung zum bürgerschaftlichen Engagement ist damit ein wesentliches Ziel Offener Arbeit, das weit über die eigene Einrichtung hinaus weist. Offene Arbeit soll junge Menschen bei Aktionen unterstützen, ihre Interessen durchzusetzen bzw. diese auch aktiv mit initiieren. Die AGOT-NRW setzt sich dafür ein, dass die OKJA sich mit den Kindern und Jugendlichen einmischt, der eigenen Zielgruppe lokale Entscheidungsstrukturen transparent macht und sie befähigt, auch außerhalb der Einrichtung ihre Anliegen zu vertreten. Die AGOT-NRW fordert, dass Kinder- und Jugendparlamente und –Foren nicht nur an Schulen angedockt werden, sondern OKJA einbeziehen, insbesondere, weil dadurch auch verstärkt Kinder und Jugendliche erreicht werden, die ansonsten wenig gesellschaftlich partizipieren.
Die AGOT-NRW setzt sich dafür ein, zu prüfen, welche Formen der Beteiligung für Jugendliche angemessen sind und fordert die Politik auf, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eigenständige Beteiligungsformen für Jugendliche auf breiter Ebene ermöglichen.

Kindheit und Jugend werden zunehmend von Erwachsenen verzweckt und verrechtlicht. Ganztagsbetreuung, schulische Aufgaben, gut gemeinte Bildungsprogramme und ein engmaschiger Zeitplan lassen Kindern und Jugendlichen immer weniger Freiräume. Wo Kinder keine Zeit mehr haben oder Einrichtungen offener Arbeit Betreuungsaufgaben im Anschluss an Schule übernehmen, die Kindern und Jugendlichen nur wenig Spielraum lassen. 4 ist Partizipation existentiell gefährdet und müssen Freiräume gesichert bzw. zurück gewonnen werden.

Im Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen wird ferner deutlich, dass das in Art. 12 der Kinderrechtskonvention verbriefte universale Recht auf Partizipation nicht allen zugestanden, sondern dem Asylrecht untergeordnet wird und auch nicht einklagbar ist. 5 Auch deshalb setzt sich die AGOT NRW aktiv dafür ein, die Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen.
Die AGOT-NRW hält die Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf 16 Jahre für geboten und betrachtet dies als einen weiteren Schritt in Richtung politischer Partizipation junger Menschen. Sie fordert dazu auf, die Partizipationsmöglichkeiten für junge Menschen über die Teilnahme an Wahlen hinaus auszubauen und die wichtigen Akteure der OKJA im Blick zu haben und zu unterstützen.

In diesem Zusammenhang fordert die AGOT-NRW, die Soll-Regelung in §6 Abs.2 Kinder- und Jugendfördergesetz (3. AG-KJHG-KJFöG NRW) in eine verpflichtende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu ändern.

Literatur:

  • Deinet/ Icking/ Nüsken/ Schmidt: Potentiale der Kinder- und Jugendarbeit, 2017
  • Scherr, A.: Subjektorientierte Jugendarbeit. Eine Einführung in die Grundlagen emanzipatorischer Jugendpädagogik. Weinheim/München 1997
  • Sturzenhecker, B.: Partizipation in der Offenen Jugendarbeit, Skript 2017
  • Sturzenhecker, B./Schwerthelm, M.: Das kann die Offene Kinder- und Jugendarbeit: Demokratische Partizipation mit Benachteiligten. In: Offene Jugendarbeit, Heft 2/2017, S. 12-21