Artikel: Probleme und Erfolge im Projekt „Vielfalt-Wir leben sie!“

Zur Darstellung der Entwicklung des Projekts „Vielfalt – Wir leben sie!“ in den letzten vier Jahren wird in einem Beitrag von Hanna Delank ein beispielhafter Blick auf das Projektjahr 2018 geworfen um Erfolge fortwährend als Chance zu begreifen aber auch Herausforderungen und Hürden anzunehmen und gemeinsam zu überwinden.

 

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit ist in den letzten Jahren für eine zunehmende Anzahl junger geflüchteter Menschen zu einer wichtigen Anlaufstelle in Ihrem Sozialraum geworden. Viele der Einrichtungen haben sich dieser Herausforderung gestellt und es dabei geschafft, ein positiv gestaltetes Miteinander von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft zu ermöglichen.

Bereits seit vier Jahren fördert die Arbeitsgemeinschaft Offene Türen Nordrhein-Westfalen e.V. als landesweite Interessenvertretung der Offenen Kinder und Jugendarbeit ihre Einrichtungen bei der Inklusion von jungen geflüchteten Menschen in ihre Regelangebote. Durch die jährlich von Seiten des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration zur Verfügung gestellten Fördermittel können die „Offenen Türen“ ihre Arbeit ausweiten, um passende Angebote für die neuzugewanderten Kinder und Jugendlichen anzubieten. Während sie 2016, im ersten Jahr der Förderung, wie die Feuerwehr aktiv werden mussten und dabei spontan und intuitiv auf die Vielzahl neuer Besucher*innen reagierten, ging es in den folgenden Jahren immer mehr um eine Inklusion in den Regelbetrieb und einer Reduzierung ad-hoc entwickelter Angebote ausschließlich für eine Zielgruppe. Die „Offenen Türen“ haben sich der neuen Besuchersituation gestellt und sind damit ihrem Selbstverständnis gerecht geworden, ein Ort für alle Kinder und Jugendlichen zu sein. Doch auch in Zukunft wird eine finanzielle Unterstützung nicht wegzudenken sein, bei stetig wachsenden und diverseren Besuchergruppen ist eine entsprechende Finanzierung von Personal und Sachkosten zwingend erforderlich, um dem Selbstverständnis weiterhin gerecht werden zu können.

Um einen detaillierteren Einblick in die Wirkung und Erfolge, aber auch in die Probleme bei der Durchführung der Projekte zu bekommen wollen wir uns im Folgenden exemplarisch dem Projektjahr 2018 widmen, in dem Dank der jährlichen Förderung über 150 Projekte in allen Teilen des Landes subventioniert werden konnten.

Die Auswertung der Verwendungsnachweise hat ergeben, dass in Summe 18.265 junge Menschen durch die Projekte erreicht wurden, wovon ca. 56% der Teilnehmer*innen einen Fluchthintergrund aufweisen. Diese Zahlen belegen den inklusiven Schwerpunkt der Projekte, da hier deutlich wird, dass es sich nicht um Angebote handelte, die sich ausschließlich an Geflüchtete richteten, sondern das Ziel einer Beteiligung aller Besucher*innen im Fokus stand. Eine weitere vorab hervorzuhebende Zahl ist die der durch die Projekte erreichten Mädchen – etwa 15% der Teilnehmer*innen waren weiblich. Eine doch sehr geringe Zahl, bedenkt man die zwischenzeitliche Schwerpunktsetzung auf die Gewinnung weiblicher Teilnehmerinnen. Die Rückmeldungen der Einrichtungen und die Auswertung ihrer Verwendungsnachweise lassen in diesem Punkt auch eines der Probleme in der Ausführung der Projekte erkennen.

Im Folgenden widmet sich der Artikel den prägnantesten Erkenntnissen bezüglich der Herausforderungen und Erfolge der einzelnen Projekte. Auf eine detaillierte Aufstellung aller in den Verwendungsnachweisen genannten Punkte wird aus Gründen der Übersichtlichkeit und Diversität der Rückmeldungen verzichtet.

 Herausforderungen

 Um qualitativ gut zu arbeiten und Projekte weiterzuentwickeln, bedarf es nicht nur den Blick auf die Chancen und Erfolge, sondern insbesondere auch die Auseinandersetzung mit Herausforderungen und Problemen. Eine Evaluation der Projekte, die im Jahr 2018 gefördert werden konnten, hat ergeben, dass sich die Herausforderungen und Probleme unter insgesamt 6 Kategorien ordnen lassen.

 

> Sprache

> Verbindlichkeit

> Organisatorisches

> Pädagogik

> Motivation/Selbstvertrauen

> Sonstiges

 

Bei der Einteilung der Kategorien fällt auf, dass sich differenzieren lässt zwischen strukturellen bzw die Rahmenbedingungen betreffenden Problemen und Herausforderungen inhaltlich pädagogischer Natur.

 

Ein großes Problem stellte die sprachliche Verständigung dar. Da die meisten Kinder und Jugendlichen fast ausschließlich in der Schule deutsch sprachen und auf Deutsch angesprochen wurden, war ihr Wortschatz noch nicht ausreichend, um sich in den Projekten gut verständigen zu können. Ein Grund war mit Sicherheit auch die Angst. die bestehenden Sprachbarrieren zu überwinden. So wurden häufig andere Teilnehmer*innen der Projekte als Dolmetscher genutzt, was wiederum die Durchführung der Projekte teilweise beeinträchtigt und verzögert hat. Probleme in der Kommunikation und sprachlichen Verständigung wurden neben Problemen bei der Verbindlichkeit am häufigsten genannt und stellten somit eine der größten Herausforderungen für die erfolgreiche Durchführung der Projekte dar. Gleichzeitig – soviel sei schon verraten – lagen hier jedoch auch die größten Chancen und Erfolge.

 

Wie gerade schon erwähnt stellte die Verbindlichkeit der Teilnehmer*innen ebenfalls eine große Hürde dar, da die Zielgruppe mit einer hohen Fluktuation und geringer Kontinuität aufwartete. Die hohe Fluktuation lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Zum einen waren Umzüge und räumliche Veränderungen der Familien Gründe für ein Abbrechen der Besuche, zum anderen aber auch die Vorstellung von Regelmäßigkeit und Kontinuität schwer zu vermitteln. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit als Grundlage für ein aufeinander aufbauendes und stringentes Programm innerhalb der Projekte waren für die Teilnehmer teilweise schwierig nachzuvollziehen. Diese Problematik lies sich teilweise im Laufe der Projekte mit viel Geduld reduzieren, trat jedoch auch immer wieder zu Tage und entwickelte sich zu einem konstanten Begleiter.

 

Hand in Hand mit den Problemen der Verbindlichkeit gingen weitere Punkte struktureller organisatorischer Natur. Beispielhaft genannt seien Schwierigkeiten in der Erreichbarkeit der Einrichtungen von den Unterkünften der Geflüchteten heraus oder der Zeitaufwand für die Beratung hinsichtlich asylrechtlicher Fragen, die eigentlich nicht zu den Inhalten der Projekte gehörten, aber notwendigerweise stattfinden mussten, um überhaupt den Raum für andere Angebote zu öffnen. Letzteres stellte die Mitarbeiter*innen häufig vor große Schwierigkeiten – sie sind nicht ausgebildet, um asylrechtliche Beratung zu leisten, aber gleichzeitig die einzigen vertrauten Ansprechpartner der Geflüchteten.

 

Wie bereits angedeutet bestand eine große Herausforderung in der Erreichbarkeit von geflüchteten Mädchen und jungen Frauen. Nicht nur für die Organisation und Planbarkeit, sondern vor allem auch für die pädagogische Komponente stellte sich hier ein Problem dar. Mädchen und junge Frauen konnten oftmals nicht ohne Begleitung von männlichen Familienangehörigen an den Projekten teilnehmen, bzw. den Weg in die Jugendeinrichtungen aufnehmen. Vor dem Hintergrund des gleichzeitig geringen Engagements der potentiellen Begleiter erforderte es viel Überzeugungsarbeit und zusätzliche intensive Gespräche sowohl mit den Teilnehmerinnen als auch mit den Angehörigen, um Wege zu finden, ihnen eine Teilhabe an den Projekten dennoch zu ermöglichen. Dabei wurden bspw. Ansätze gefunden, die zeitgleich Angebote für die männlichen Angehörigen vorsahen, während die Projekte für Mädchen und junge Fragen stattfanden. Hilfreich war dabei sicherlich die Schwerpunktsetzung des Projektjahres auf die Förderung von Projekten mit geflüchteten Mädchen und jungen Frauen, die es den Durchführenden ermöglichte, sich gezielt konzeptionell diesem Problem zu widmen. Die Einbindung der Eltern war in vielerlei Hinsicht ein wichtiger pädagogischer und notwendiger Aspekt bei der Planung der Projekte.

 

Hervorzuheben ist auch die Herausforderung der Inklusion. Der Anspruch an die Projekte war unter anderem, Angebote zu schaffen, die sich nicht ausschließlich mit der Zielgruppe der Geflüchteten beschäftigten, sondern die den Fokus auf die Inklusion in bestehende Besuchergruppen der Einrichtungen legten. Diesem Anspruch gerecht zu werden erforderte vor allem die Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf Neues, Ungewohntes und Herausforderndes einzulassen. Unterschiedliche Sichtweisen, sprachliche Barrieren und eine generelle Zurückhaltung bzw. teilweise sogar Ablehnung der jungen Menschen untereinander sind nur einige der zu nennenden Punkte in diesem Kontext. Die neuen Besucher*innen im Anschluss an die Projekte auch weiterhin in der Einrichtung zu halten und den Kontakt nicht wieder zu verlieren entwickelte sich häufig im Nachgang zu einer Herausforderung für die Pädagog*innen.

 

 Erfolge und Chancen

 Nachdem zunächst der Fokus auf den Herausforderungen und Problemen bei der Durchführung der Projekte gelegen hat, lohnt es sich einen Blick auf die Erfolge zu werfen.

Dabei wird deutlich, dass sich diese noch einmal sehr viel diverser darstellen und sich die Ergebnisse in elf Kategorien einteilen lassen.

 

> Sprache

> Einrichtung

> Fertigkeiten / Lernerfolge

> Inhaltliche Themen

> Integration und Inklusion

> Interkulturelles

> Mädchen/junge Frauen

> Selbstwert/-bewusstsein

> Soziales / Sozialraum

> Kommunikation / Gemeinschaft

> Sonstiges

 

Im Folgenden sollen einige wesentliche Punkte und besonders vielversprechende Chancen genauer erläutert werden.

 

Wie zuvor bereits erwähnt, nahm das Thema Sprache einen besonderen Stellenwert bei der Ausübung der Projekte ein. Interessanterweise lag hier jedoch nicht nur eines der größten Hindernisse und Probleme bei der Durchführung, sondern rückblickend betrachtet auch die größte Chance. Dieses vermeintliche Paradoxon lässt sich leicht auflösen, denn stellte die sprachliche Barriere und das „Sich-auf-die-sprachliche-Auseinandersetzung-einlassen“ zunächst eine große Hürde für die geflüchteten Teilnehmer*innen dar, war der Erwerb von Sprachkompetenzen im nächsten Schritt um so höher. Die Möglichkeit durch spielerische Aktivitäten und Freizeitgestaltung im konzeptionellen Kontext der Projekte die deutsche Sprache zu nutzen, bildete dafür die Grundlage. Der inklusive Charakter und die dadurch verstärkte Notwendigkeit der Auseinandersetzung auf Deutsch, verstärkten diesen Aspekt um ein Vielfaches.

 

Zeigte sich in der Bindung der neuen Besucher*innen an die Einrichtung zwar einerseits eine große Herausforderung, konnte man jedoch sehen, dass Bemühungen diesbezüglich eine Wirkung erzielten. Eine Vielzahl der Projektverantwortlichen gaben an, dass eine Bindung der Teilnehmer*innen an die Einrichtung erfolgreich war und sich einige sogar weitergehend als Ehrenamtliche dort engagierten. Weitere Erfolge bestanden in Kooperationen mit anderen Einrichtungen und Institutionen sowie der Vernetzung und Bekanntwerdung der Einrichtung in den Stadtteilen.

 

Die Gewinnung von Mädchen für die Projekte stellte die Durchführenden teilweise vor große Schwierigkeiten. Die zuvor bereits erläuterten Lösungsansätze wie verstärkte Elternarbeit und zielgruppenspezifische Angebote führten jedoch im Ergebnis häufig zu einer erhöhten Erreichbarkeit und der Möglichkeit insbesondere junge Mädchen für die Projekte zu begeistern. Dabei spielten die Angebote auch die Funktion eines Türöffners für die weitere Teilnahme an dem Alltagsangebot der Einrichtungen. In einigen Fällen führte dies sogar zu einem weitergehenden ehrenamtlichen Engagement der jungen Teilnehmerinnen, was sich als besonderer Erfolg bezeichnen lässt. Doch vor allem brachte die geschützte Umgebung der Projekte, der Raum, der den jungen Mädchen gegeben wurde, um sich zu öffnen und künstlerisch, spielerisch oder kulinarisch tätig zu werden eine Stärkung ihres Selbstvertrauens mit sich.

 

Das Thema Inklusion und Integration als übergeordnetes Ziel der Projekte war ebenso eine Medaille mit zwei Seiten. Stellte sich hier die zuvor genannte Herausforderung dar, sich auf Neues einzulassen sowie Ablehnungen und Ressentiments zu überwinden, bestand gleichzeitig die große Chance einer tatsächlichen Überwindung von Vorurteilen und der Möglichkeit einer tatsächlichen Teilhabe von geflüchteten jungen Menschen an gesellschaftlichem Leben als gleichberechtigtes Mitglied einer Gemeinschaft. Die Werte Toleranz und Solidarität konnten durch die Projekte gefördert werden und die Offenheit für andere Kulturen und Lebenskonzepte verstärkt bzw. erreicht werden. Dabei entstanden Freundschaften und ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl, die alle beteiligten jungen Menschen als Gewinn betrachten konnten. Inklusion nicht nur als Einbahnstraße und Gewinn für die ankommenden Personen zu betrachten, sondern ebenso den Wert für die aufnehmende Gruppe zu benennen war ein wichtiger Bestandteil der Arbeit vor Ort. In der großen Herausforderung allen unterschiedlichen Bedürfnissen, Anforderungen und Problemen der Besucher*innen gerecht zu werden lag somit jedoch definitiv eine große Chance: ihre Diversität und Vielfalt als Gewinn zu begreifen und ihnen diesen wiederum greifbar und anschaulich zu machen.

 

 Zusammenfassend lässt sich über die Herausforderungen und Erfolge der Projekte im Jahr 2018 sagen, dass sie sich häufig bedingen und Hand in Hand miteinander gehen.

Auf dem Weg zu einem erfolgreich durchgeführten Projekt mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen begegnen den Durchführenden und Teilnehmenden immer wieder Hürden und Probleme. Dies zu verleugnen oder zu beschönigen wäre wenig zielführend und dem Erfolg der Projekte abträglich. Vielmehr ist die Auseinandersetzung mit ihnen und die regelmäßige Überprüfung der Konzepte auf ihre realistische Umsetzbarkeit ein wichtiger Faktor auf dem Weg zum Erfolg.

Gleichzeitig gibt die Auswertung der Verwendungsnachweise auch den klaren Hinweis auf die kleinen und großen Erfolge, die in der Praxis tagtäglich gelingen. Inklusion und Teilhabe ist ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist, der aber durch die Projekte der Kinder- und Jugendeinrichtungen immer mehr ein Stück Wirklichkeit wird. Denn in der Ausdauer der Projektdurchführenden und der Niedrigschwelligkeit der Angebote liegt die große Chance langfristig etwas zu erreichen.