Positionierung der AGOT NRW zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter

Der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern im Grundschulalter ist ein wichtiges arbeitsmarkt- und familienpolitisches Vorhaben von Bund und Ländern, welches nach der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege für Kinder unter drei Jahren folgerichtig die entstehende Betreuungs-lücke schließt. Ob es den ebenfalls behaupteten bildungs- und sozialpolitischen Anspruch einlösen kann, muss derzeit ernsthaft bezweifelt werden. Vielmehr ist zu befürchten, dass der Rechtsanspruch zu einer quantitativen Bedarfsdeckung um jeden Preis führen wird, der sich alle anderen Kriterien unterzuordnen haben. Dies wird zusätzlich verschärft durch den wachsenden Fachkräftemangel. Aus Sicht der AGOT NRW ist es deshalb zwingend erforderlich, in einem Landesausführungsgesetz verbindliche Mindestqualitätsstandards festzulegen.

Mindestqualitätsstandards sollten u.a. folgende Bereiche umfassen:

  • Fachliche und personelle Mindestvoraussetzungen (u.a. Fachkraft-Kind-Schlüssel)
  • Geeignete und ausreichende Räume (auch außerhalb von Schule), innen und außen
  • Gemeinsame Konzeption des OGS-Trägers und der Schule
  • Verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit
  • Ein ganzheitliches Bildungsverständnis (vgl. Bildungsgrundsätze NRW)
  • Gesellschaftliche Teilhabe aller Kinder/ Inklusion
  • Verpflichtung zu Verfahren der Selbstvertretung, Partizipation und Beschwerde der Kinder
  • Gesundheitsförderung, u.a. gesunde ausgewogene Mittagsverpflegung, Rhythmisierung von Bewegung, Ernährung und Entspannung sowie verbindliche Berücksichtigung von Aktivitäten draußen (Tageslicht)
  • Proaktive Gewährleistung des Kinderrechts auf Spiel und Freizeit (UN-KRK Art.31) innerhalb des Ganztagsbetriebs angesichts der erheblichen Zeitspanne von 8 Std. an 5 Werktagen.
  • Erarbeitung eines Kinderschutzkonzeptes (Prävention und Intervention)
  • Festschreibung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung

Inhaltliche und Qualitätsgrundlagen:

Die Kinder müssen im Mittelpunkt stehen!

Die (Bildungs-) Bedarfe und weitere Bedürfnisse der Kinder müssen vor den (Betreuungs-) Bedarfen der (berufstätigen) Erziehungsberechtigten stehen. Zu ermöglichen sind u.a. Bewegung und Ruhephasen, Rückzugsmöglichkeiten, Spiel und Freizeit sowie Raum und Zeit für individuelle Neigungen und Bedürfnis-se der Kinder.

Ganzheitliches Bildungsverständnis!

Eine kindgerechte, zukunftsorientierte Bildung stellt die Chancengleichheit aller Kinder in den Mittel-punkt. Sie ist ganzheitlich zu verstehen und nur im partnerschaftlichen Zusammenspiel von gleichrangigen Beteiligten (Verantwortungsgemeinschaft) der formalen und non-formalen Bildung und der Ermöglichung von informellen (Bildungs-)Settings zu erreichen. Die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen über den gesamten Schultag muss die gemeinsame Zielsetzung sein.

Prinzipien der Offenen Kinder- und Jugendarbeit als Leitlinien!

Subjektorientierung, Partizipation und Freiwilligkeit müssen Berücksichtigung finden. Die Ausgestaltung des Ganztags muss Selbstorganisation und Selbstwirksamkeitserfahrungen fördern, individuelle Aneignungs- und Aushandlungsprozesse einbinden und nicht-hierarchische, ergebnisoffene Prozesse ohne Leistungsbewertung zulassen.

Sozialraum als Ressource verstehen!

Zusammenarbeit funktioniert nur im Sozialraum. Bereits im Sozialraum ansässige Strukturen sind bei der Auswahl der Kooperationen zu bevorzugen, weitere Träger und Angebote sind einzubinden. Entsprechend muss bei der Auswahl der Träger auf Vielfalt geachtet und Diversität mitgedacht werden. Ein qualitativ hochwertiger Ganztag muss sich als vielfältige Bildungslandschaft verstehen und personell und finanziell so ausgestattet sein, dass Kooperationen auf kommunaler Ebene funktionieren und nachhaltig begleitet werden können.

Rechtsfragen:

Gesetzliche Verankerung im Landesrecht!

Es bedarf einer gesetzlichen Verankerung im Landesrecht (Verankerung des Ganztagsförderungsgesetzes im Sinne eines eigenen Ausführungsgesetzes im SGB VIII).

Qualität rechtlich absichern!

Der zeitliche Druck zur Regelung der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen darf nicht zu Lasten einer prozesshaften inhaltlich-qualitativen (Weiter-) Entwicklung gehen. Es ist mindestens festzuschreiben, dass Gesetze, die dazu derzeit auf den Weg gebracht werden, regelmäßig überprüft und ggf. (qualitativ/ inhaltlich) weiterentwickelt werden.

Position der Jugendhilfe stärken!

Die gesetzlichen Ausgangslagen von Schule und Jugendarbeit sind im Sinne einer gleichwertigen Zusammenarbeit besser aufeinander abzustimmen und ggf. im Schul- und Jugendhilfe-Gesetz zu verankern. Es ist zwingend erforderlich, die Jugendhilfe zu stärken. Kommerzielle Anbieter sind zu vermeiden und freie Träger der Jugendhilfe bevorzugt zu berücksichtigen. Die Anwendung von Vergaberechtverfahren und Ausschreibungspflicht ist entsprechend abzulehnen. Angebotsort des Ganztags muss bei Eignung auch die Einrichtung der OKJA sein können; entsprechende Regelungen zur Aufsichts- und Verkehrssicherungs-pflicht sind zu treffen.

Recht nicht zur Pflicht umdeuten!

Ganztags-/ Schulkooperationen dürfen nicht verpflichtend für die OKJA dargestellt und in Förderabhängigkeit gestellt werden! Kooperationen oder OGS-Trägerschaften aus der OKJA müssen Einzelfallentscheidungen sein, können und bleiben.

Eine Teilnahme- oder Bleibeverpflichtung angemeldeter Kinder sehen wir in Anbetracht der Kinderrechte und den Prinzipien der Offenen Arbeit kritisch. Allen Kindern muss die Inanspruchnahme anderer Termine wie Arzt, Kultur, Freizeit und Sportverein, u.a. im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten ermöglicht werden. Zur Gewährleistung einer sinnvollen pädagogischen Arbeit und Rhythmisierung kann eine dies nicht ausschließende Steuerung sinnvoll sein.

Pluralität sichern!

OKJA richtet sich nicht nur an Kinder im Grundschulalter und nicht alle Träger werden in Kooperationen im Ganztag eintreten. Gleichzeitig ist abzusehen, dass die Sicherstellung des Rechtsanspruchs in den kommenden Jahren ein massiver finanzieller Kraftakt für Bund, Länder und Kommunen werden wird. Diese Mittel werden an anderer Stelle fehlen. Die OKJA bekräftigt daher bereits jetzt, dass auch außer-halb des Ganztags weiterhin eine finanzielle Absicherung der Angebote der OKJA sichergestellt werden muss – im Sinne aller Kinder und Jugendlichen!

Dies entspricht auch dem im SGB VIII verankerten Ge-danken der Pluralität von Angeboten und Trägern und vor allem dem Wunsch- und Wahlrecht. Schule bleibt ein wichtiger Bildungsträger; Bildung findet jedoch in erheblichem Maße und notwendiger Ergänzung auch außerhalb statt, z. B. Kinderinteressen geleitet in Angeboten der OKJA.

Finanzen:

Engagement im Ganztag darf das Kernarbeitsfeld nicht schwächen!

Trägerstrukturen, die sich für die Beteiligung an OGS oder für weitere anknüpfende Angebote entscheiden müssen in Ausstattungsfragen so gestärkt werden, dass ein kontinuierliches Engagement in der Ganztagsförderung nicht ihr Kernbetätigungsfeld beschneidet (z. B. durch Verwaltungskostenanteile, zusätzliches Personal und Räume).

Investitionsmittel zum Ausbau des Ganztags müssen auch in die Einrichtungen der OKJA fließen können, wenn Trägerschaften oder Angebote im Rahmen des Ganztages übernommen werden. Personelle Res-sourcen für den Ganztag müssen zusätzlich bereitgestellt und auskömmlich finanziert werden und dürfen nicht zu Lasten des OKJA-Angebotes gehen.

Gleichwertige Lebensverhältnisse sichern!

Die Finanzierung muss landeseinheitlich gestaltet, dynamisch gesichert und an die Erfüllung der Qualitätskriterien gekoppelt sein, um einer weiteren Ausweitung der regionalen Ungleichheit der Kommunen entgegenzuwirken und den mit dem Rechtsanspruch verbundenen Anspruch auf Stärkung der Bildungsgerechtigkeit und gleichwertige Lebensverhältnisse zu erfüllen. Ferner sollten Angebote im Ganztag von Elternbeiträgen befreit sein.

Einbindung der Träger

Die AGOT NRW erwartet von Ländern und Kommunen den kontinuierlichen Dialog mit der Praxis und die Einbeziehung der Expertise der Fach- und Interessensverbände der OKJA bei der Entwicklung eines wirkungsvollen Qualitätsrahmens und erklärt ihre Bereitschaft zur konstruktiven Mitwirkung.

Der Vorstand der AGOT-NRW e. V.
Düsseldorf, September 2023

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